Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung in Deutschland liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) derzeit bei rund einem Viertel. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im August 2019 eingeführt und kürzlich erneuert wurde, wird der Zuzug von mehr Migranten aus Drittstaaten gefördert. Damit soll dem viel beklagten Fachkräftemangel begegnet werden. Die Jobplattform Indeed hat nun nachgefragt, wie Zugewanderte die Entwicklung des Arbeitsmarkts und ihre Chancen, einen Job zu finden, aktuell beurteilen. An der Befragung im August dieses Jahres nahmen 1.023 Erwerbstätige mit Migrationshintergrund teil.
Zugewanderte profitieren von angespannter Personalsituation
Laut den Umfrageergebnissen profitieren Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich von der angespannten Personalsituation hierzulande. Drei Viertel (76 Prozent) der Befragten geben an, dass sich ihre Jobsituation verbessert oder teilweise verbessert hat. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) sagt, es sei in den letzten zehn Jahren einfacher geworden, einen Job zu finden. Bei einer Indeed-Umfrage im Jahr 2021 stimmten erst 29 Prozent dieser Aussage zu, was den Schluss nahelegt, dass der Arbeitsmarkt für Migrantinnen und Migranten zuletzt zugänglicher geworden ist.
Info
Sie sind auf der Suche nach einem Dienstleister im Bereich Recruiting? Dann schauen Sie gerne in unseren Recruiting Guide, den Sie hier kostenlos herunterladen können. Das Anbieterverzeichnis finden Sie auch online.
Neue Zugewanderte haben bessere Aussichten
Für neu Zugewanderte sind die Chancen, einen Job zu bekommen, offenbar größer: Von den Menschen, die erst seit maximal fünf Jahren in Deutschland sind, geben 58 Prozent an, dass sie vom Fachkräftemangel profitieren. Dagegen können dies von jenen, die bereits über 15 Jahre hier leben, lediglich 30 Prozent bestätigen. Die Menschen, die erst vor kürzerer Zeit nach Deutschland kamen, bringen etwas häufiger anerkannte Abschlüsse (98 Prozent) mit als der Durchschnitt (92 Prozent) der Zugewanderten. Von den Befragten, die schon vor über 15 Jahren eingewandert sind, haben mit 85 Prozent die wenigsten anerkannte Abschlüsse. Insgesamt erscheint der Anteil der Migrantinnen und Migranten mit anerkannten Abschlüssen hoch. Die könnte unter anderem daran liegen, dass hier nur Erwerbstätige und keine Jobsuchenden befragt wurden. Auch liegen keine Angaben dazu vor, ob und wie viele Geflüchtete an der Befragung teilgenommen haben. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Anteil niedrig ist, da von den Geflüchteten drei Viertel (75 Prozent) nach eigenen Angaben keine formale Ausbildung vorweisen können, wie das BQ-Portal, Informationsportal für ausländische Berufsqualifikationen, berichtet. Es wurde 2011 als Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gegründet.
Größte Hürden: Bewerbungsanforderungen und Vorurteile von HR-Abteilungen
Die Zugewanderten wurden auch nach den Hürden bei der Jobsuche gefragt. Das größte Hindernis ist nach Aussage von 43 Prozent die Bedeutung von Nachweisen in Form von formalen Abschlüssen, Dokumenten und Zeugnissen. Das zweitgrößte Problem mit 39 Prozent der Angaben ist die Bevorzugung von Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, dicht gefolgt (knapp 39 Prozent) von Vorurteilen in Personalabteilungen über Menschen mit Migrationshintergrund.
Ein weiteres Ergebnis der Befragung ist, dass sich heute deutlich mehr Zugewanderte bei der Stellensuche diskriminiert fühlen als noch vor zwei Jahren, und das trotz besserer Jobaussichten. Aktuell stimmt mehr als jeder Dritte (38 Prozent) der Aussage zu, sich bei Bewerbungen als Mensch mit Migrationshintergrund diskriminiert zu fühlen, während dies 2021 nur ein Sechstel (16 Prozent) angab. Den Eindruck, selten bis nie Diskriminierung zu erleben, hat heute lediglich jeder dritte Zugewanderte (34 Prozent) gegenüber noch fast jedem zweiten (49 Prozent) vor zwei Jahren. Außerdem haben 58 Prozent der Befragten den Eindruck, dass sie im Job für die gleiche Anerkennung mehr leisten müssen als Beschäftigte ohne Migrationshintergrund. Auch dieser Anteil lag 2021 mit 37 Prozent wesentlich niedriger.
Bessere berufliche Chancen und gleichzeitig das Gefühl, heute stärker diskriminiert zu werden – die Befragung liefert für diesen Widerspruch keine Erklärung. Da viele Unternehmen auch im Rahmen von Diversity gezielt mehr Zugewanderte rekrutieren und nach eigenen Angaben wegen der Personalnot auch dringend benötigen, wäre es kontraproduktiv und daher schwer vorstellbar, dass sie diese bei Bewerbungen dann benachteiligten oder diskriminieren.
Formale Bewerbungsprozesse als Maßnahme gegen Benachteiligung
Die Migrantinnen und Migranten sollten angeben, wie Arbeitgeber Diskriminierung bei Bewerbungen vorbeugen könnten. Rund ein Drittel (32 Prozent) stimmte der Aussage zu, dass strukturierte Bewerbungsgespräche (alle Kandidatinnen und Kandidaten beantworten dieselben oder vergleichbare Fragen) geeignet sind. 29 Prozent plädierten für Assessments auf Basis vergleichbarer objektiver Testergebnisse, 28 Prozent für anonyme Bewerbungen. Darüber hinaus befürworten 29 Prozent der Befragten eine diversere Zusammensetzung von Personalabteilungen, etwa durch mehr Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.