Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Machen die Deutschen wirklich so wenig Überstunden wie nie?

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Langfristig gibt es einen Trend zu weniger Überstunden. Das geht aus den Arbeitszeitrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Dass Beschäftigte so wenig Überstunden wie nie zuvor machen würden, wie in den vergangenen Tagen vielerorts zu lesen war, ist allerdings zumindest verkürzt dargestellt.

Denn laut den Zahlen des IAB machte zwar jeder Beschäftigte im dritten Quartal 2024 im Durchschnitt 3,3 bezahlte und 3,9 unbezahlte Überstunden, also insgesamt 7,2 Stunden. Im Vorjahresquartal war es insgesamt eine halbe Stunde mehr. Im zweiten Quartal dieses Jahres hingegen lag die Zahl der unbezahlten Überstunden (4,1) zwar ebenfalls höher als zuletzt, die Zahl der Bezahlten jedoch so viel niedriger – nämlich bei 2,9 – dass auch die Gesamtzahl der Überstunden zuletzt gestiegen ist.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Datawrapper, der von der Redaktion empfohlen wird. Sie können den Inhalt mit einem Klick aktivieren.

Inhalt entsperren

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von Datawrapper angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu erfahren Sie bei Datawrapper und unserer Datenschutzerklärung.

Das allerdings, darauf verweist das IAB im Gespräch mit unserer Redaktion, sei normal. In den vergangenen Jahren lag die Zahl der Überstunden im dritten Quartal immer höher als im zweiten. Dies seien ganz normale saisonale Schwankungen.

Und auch für die Verschiebung von den unbezahlten hin zu den bezahlten Überstunden könnte es eine Erklärung geben: die Zeiterfassung. In vielen Unternehmen werden offenbar einige der einst unbezahlten Überstunden weiterhin abgeleistet – mittlerweile aber vergütet. Oder Überstunden können zu einem späteren Zeitpunkt in Freizeit ausgeglichen werden.

Das bestätigt das IAB: „Dass die bezahlten und unbezahlten Überstunden langfristig an Bedeutung verloren haben, liegt insbesondere an der zunehmenden Verbreitung von transitorischen Überstunden, also Überstunden, die auf Arbeitszeitkonten fließen, über die sie später wieder ausgeglichen werden können.“ Ihr Anteil an den „Überstundenformen“ sei in den vergangenen drei Jahrzehnten um 20 Prozentpunkte gestiegen, während die Anteile der ausbezahlten und unbezahlten Überstunden stark zurückgegangen sind. Das belegen auch Auswertungen des Sozio-oekonomischen Panels zur Abgeltung von Überstunden.

Die Deutschen sind nicht fauler geworden

Richtig ist also: Die deutschen Arbeitnehmer haben seit Beginn der Statistik noch nie so wenig unbezahlte Überstunden gemacht wie zuletzt – und noch nie so wenig Überstunden insgesamt in einem dritten Quartal. Dazu kommt: Immer mehr Arbeitnehmer können sich zumindest unbezahlte Überstunden schlicht nicht mehr leisten. Das wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass mittlerweile fast jeder neunte Beschäftigte einen zweiten Job hat. Bei Nebentätigkeiten zeichnet sich nach Angaben des IAB schon seit längerem ein Aufwärtstrend ab. Darauf weist Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen, hin. Rund 4,6 Millionen Beschäftigte gehen derzeit einer Nebentätigkeit nach. Das sind 1,2 Prozent mehr als im dritten Quartal 2023.

Deutsche machen mehr Überstunden als europäische Kollegen

Auch im europäischen Durchschnitt schneiden deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut ab: Einer Umfrage des Personaldienstleisters SD Worx zufolge machen sie öfter Überstunden als ihre europäischen Kollegen (wir berichteten). Demnach leistet die Hälfte der deutschen Beschäftigten (50 Prozent) eigenen Angaben zufolge regelmäßig Überstunden. Im europäischen Durchschnitt geben dies nur 40 Prozent an. Nur etwas weniger als jeder zehnte Arbeitnehmende hierzulande sagt, dass er keine Mehrarbeit leiste.

Und: Nicht immer bedeutet mehr Arbeit auch mehr Leistung. Darauf wies TUI-Personalvorständin Sybille Reiß unlängst in der Personalwirtschaft hin. Aus ihrer Sicht ist nicht die Dauer des Arbeitens, sondern die Effizienz wichtig: „Man muss nicht mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten, um Vorständin zu werden“, betonte die 48-Jährige. Viel wichtiger sei es, die eigene Arbeitszeit effizient zu nutzen.

Psychologe Dr. Nils Backhaus geht noch einen Schritt weiter. Er warnt vor zu langen Arbeitszeiten: „Wir wissen aus der Forschung zu langen Arbeitszeiten, dass diese langfristig zu wirklich schweren Erkrankungen führen können“, sagt der Gruppenleiter „Arbeitszeit und Flexibilisierung“ bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Interview mit unserer Redaktion. So habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt, dass ab 55 Stunden Arbeit pro Woche Herz-Kreislauf-Erkrankungen zunehmen und es zu mehr Herzinfarkten und Schlaganfällen kommt. „Aus Arbeitsschutzsicht sind längere Arbeitszeiten also riskant.“

Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.