Round Table
Change Management: Mut für Wahrheiten
28. Februar 2025 von Petra Walther
Trotz jahrzehntelanger Change-Prozesse bleibt die mangelnde Veränderungsbereitschaft in Unternehmen ein Dauerthema, auch beim Round Table der „Personalwirtschaft“. Eine Auseinandersetzung mit Erfolgsfaktoren, Wahrheiten und der Rolle von Künstlicher Intelligenz.
Mal ehrlich: Können Sie das Wort „Change Management“ noch hören? Sollten Sie verneinen, sind Sie dem Round Table der „Personalwirtschaft“ zu eben diesem Thema zufolge bei Weitem nicht der oder die Einzige. Laut den Teilnehmenden der Diskussionsrunde ist die Aussage „Ich kann Change Management nicht mehr hören“ in vielen Unternehmen keine Seltenheit. Schlechte Aussichten für Change-Berater und -Beraterinnen? Laut Christian Weiland, Principal Transformation Germany bei der Mercer Deutschland GmbH, keineswegs. „Dass besagter Satz so oft fällt, deute ich positiv. Er zeigt, dass Change Management in der Breite in den meisten Unternehmen angekommen ist“, begründet er. Bei Mercer jedenfalls sei die Nachfrage nach Change ungebrochen. Dabei zeichnet sich laut Weiland ab, dass viele Organisationen inzwischen eine größere Reife hinsichtlich Veränderungsprozessen erreicht und damit eine größere Erwartungshaltung an Change-Management-Beratungen haben: Die Unternehmen würden stark darauf achten, welchen Mehrwert die Change-Begleitung ihnen bietet. „Es ist viel Kompetenz in den Unternehmen aufgebaut worden – insbesondere, was die Implementierung von Change-Maßnahmen betrifft“, bestätigt Ilona Indra, Managing Director & Practice Lead Germany People & Transformation, FTI Consulting. Bedarf für externe Beratung besteht ihrer Erfahrung nach vorwiegend für die strategische Herangehensweise bei großen und komplexen Projekten.
Das Wichtigste in Kürze
- Schnelle Erfolge sind trügerisch
Change braucht Zeit! Wer nur auf Quick Wins setzt, riskiert, dass der Wandel versandet. - Veränderung ist nicht vollständig planbar
Kultureller Wandel lässt sich nicht rein prozessual steuern – Mitarbeitende müssen aktiv einbezogen und befähigt werden. - Führungskräfte sind Schlüsselakteure
Sie müssen den Change mittragen, werden aber zu oft alleingelassen. - Die Geschäftsführung muss den Wandel treiben
Veränderung funktioniert nur, wenn die oberste Führungsebene sie glaubwürdig vorlebt und mit den Mitarbeitenden in den Dialog tritt. - Veränderungsbereitschaft muss gezielt gefördert werden
Menschen mögen Vertrautes. Um Veränderungen zu akzeptieren, müssen sie verstehen, was bleibt und welchen persönlichen Nutzen der Wandel bringt. - KI unterstützt, ersetzt aber kein Change Management
KI kann Analysen und Prozesse erleichtern, doch echte Transformation basiert auf zwischenmenschlicher Interaktion.
„Sich darauf einzulassen, dass sich zunächst Einzelpersonen – Führungskräfte wie Mitarbeitende – verändern müssen, damit der Wandel in der Organisation funktioniert, erfordert unkonventionelle Ansätze, also Mut.“
Ilona Indra, Managing Director & Practice Lead Germany People & Transformation, FTI Consulting
Change ist nur bedingt planbar
In jedem Fall ein Trugschluss der Unternehmen ist nach Meinung von Christian Schwedler, zu glauben, dass alles planbar sei. „Bei Veränderungen geht es oft um große Themen, die eine Kulturänderung implizieren – also eher um eine Transformation. Das ist nichts, was man vollumfänglich steuern kann“, stellt der Keynote-Speaker klar.
An diesem Punkt kommen schnell wieder die Mitarbeitenden ins Spiel, sind Kulturveränderungen im Sinne einer agilen Transformation doch mit einem zu verändernden Mindset verknüpft. Darauf weist Jan Stephan Schmaderer hin. Eine Kernaufgabe sei es, die Menschen in der Organisation zu „empowern“ beziehungsweise ihnen die Fähigkeiten zu vermitteln, um überhaupt mitgestalten zu können. „So gelingt es, Angst vor Veränderungen zu nehmen und zu motivieren“, sagt Schmaderer. Upskilling sei der Erfolgsfaktor schlechthin! Doch Theorie und Praxis fallen oft auseinander: Dass die Begleitung der personalen Seite bei Veränderungsprozessen nötig ist, wird laut Claudia Schmidt zwar vom Kopf her verstanden, sei in den meisten Unternehmen aber noch nicht zur Überzeugung geworden. Das zeige sich insbesondere daran, dass strategische Change-Projekte vielfach in der Unternehmensentwicklung geplant und vorangetrieben werden, ohne HR einzubeziehen.
Für ausgewählte aktuelle Themen lädt die Personalwirtschaft Experten und Expertinnen zu einem Round Table ein, um mit diesen die Trends und in diesem Fall die Herausforderungen im Change Management zu diskutieren. Die Runde wurde von Erwin Stickling, Herausgeber der Personalwirtschaft, moderiert.
Berichte zu unseren Round Tables finden Sie auf unserer Übersichtsseite.
Zu viele leere Versprechungen
Auch Christian Schwedler, auf das Thema Ambidextrie spezialisierter Keynote Speaker & Autor, beobachtet, dass die Unternehmen sehr genau hinschauen, wann und für was sie Change-Prozesse in Auftrag geben. Dies ist seiner Meinung nach aber eher der Tatsache geschuldet, dass der Großteil der Organisationen derzeit Effizienzprogramme aufsetzt, um Kosten zu sparen. Zudem wären in der Vergangenheit vermeintliche Change-Konzepte, die viel versprochen hatten, oftmals ins Leere gelaufen. „So einige Unternehmen haben sich am Change Management die Finger verbrannt“, bringt es Jan Stephan Schmaderer, Managing Director, JSS HR & Consulting Services, auf den Punkt. Doch Fakt ist – darauf weisen sowohl Schwedler als auch Schmaderer hin –, dass der Bedarf der Unternehmen nach Veränderung und Transformation trotzdem stark vorhanden ist. Denn angesichts des erhöhten Wettbewerbs durch die Globalisierung und die Digitalisierung müssen sie dafür sorgen, zukunftsfähig zu bleiben.
„Viele Organisationen sind nun auf der Suche nach neuen Lösungen, die eine schnelle Wirksamkeit entfalten“, sagt Schwedler. Das ist genau der Punkt, warum Change Management oftmals erfolglos bleibt. Das zumindest meint Claudia Schmidt, Geschäftsführerin der MUTAREE GmbH. Ihre Erfahrung: Aufgrund des Drucks, schnelle Erfolge erzielen zu müssen, geben die Unternehmen ihren Mitarbeitenden oftmals nicht ausreichend Zeit, zu lernen und bei den Veränderungen richtig mitzukommen. „Meistens sind unsere Steuerungsprozesse dann kontraproduktiv, sie bewirken das Gegenteil von dem, was wir von den Menschen erwarten: Führungskräfte und Mitarbeitende verfallen in alte Muster“, beschreibt sie das Dilemma.
Frank Wippermann, Geschäftsführender Gesellschafter der flow Consulting GmbH, sieht die Konzentration auf sogenannte Quick Wins ebenfalls als nicht zielführend. Viele Auftraggeber würden zudem glauben, dass ein Change-Vorhaben erledigt wäre, sobald die Strategie des Vorhabens in trockenen Tüchern sei. Doch das habe nur zur Folge, dass der angestrebte Wandel versande. „Im schlimmsten Fall wird Change dann in dem betreffenden Betrieb zum Unwort des Jahres“, so Wippermann. „Nach den Quick Wins fängt die Arbeit erst an. Eine strategische Organisationsentwicklung beginnt erst so richtig nach den ersten zwei, drei Kilometern eines Marathons“, betont er. Wird das im Auge behalten, ist es laut Christian Weiland durchaus zielführend, kurzfristige Ziele zu setzen und schnelle Erfolge zu kommunizieren. „Es braucht eine gute Balance aus kürzeren Projekten und größeren Transformationsvorhaben, die auf die Strategie einzahlen. Jeder gelungene Veränderungsprozess in einem Unternehmen steigert sowohl die individuelle Resilienz der Mitarbeitenden als auch die Reife der Organisation, mit Veränderungen umzugehen“, so seine Sichtweise.
„Dass die Begleitung der personalen Seite bei Veränderungsprozessen nötig ist, wird zwar vom Kopf her verstanden, ist in den meisten Unternehmen aber noch nicht zur Überzeugung geworden.“
Claudia Schmidt, Geschäftsführerin, Mutaree GmbH
Es fehlt an Mut – oder an Einsicht
Letztlich geht es um ein systemimmanentes Problem, wie Ilona Indra es ausdrückt: Die Prozessgläubigkeit steht konträr zu echter Veränderung mit entsprechenden Ankern für Veränderung von Einstellungen und Verhalten. „Doch sich darauf einzulassen, dass sich zunächst Einzelpersonen – Führungskräfte wie Mitarbeitende – verändern müssen, damit der Wandel in der Organisation funktioniert, erfordert unkonventionelle Ansätze, also Mut“, meint Indra. Genau an diesem Mut mangelt es ihrer Beobachtung nach in vielen Unternehmen.
Meist entschließen sich die Unternehmen erst dann zu grundlegenden Verhaltensänderungen im Betrieb, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen und der Schmerz groß ist, weiß Claudia Schmidt. Sie erinnert sich an ein Großunternehmen, das einst bei MUTAREE angefragt hatte, um die Schließung eines Standorts zu begleiten. Zudem sollte eine Skill-Differenzierung stattfinden und die IT-Infrastruktur modernisiert werden. „Das Projekt war viel zu groß – insbesondere, da inhouse keinerlei Projektmanagement vorhanden war und noch mit To-do-Listen hantiert wurde“, erläutert Schmidt. Sie und ihr Team hätten deutlich gemacht, dass das Vorhaben in dieser Form nicht durchführbar sei. „Wir waren im Pitch daher schnell draußen. Doch interessanterweise ist das Unternehmen nach zwei Jahren nochmals auf uns zugekommen – mit der Erkenntnis, dass wir damals richtig lagen“, berichtet Schmidt weiter: Es hatte in der Zwischenzeit 25 Prozent seiner Belegschaft verloren und das große Problem, seinen Regelbetrieb aufrechtzuerhalten.
Ideal ist, wenn sich das Beratungs- und das Kundenunternehmen von Anfang an über die Herangehensweise im Change-Projekt einig sind. Frank Wippermann Frank Wippermann, Geschäftsführender Gesellschafter, flow consulting gmbh, erzählt in diesem Kontext von dem Fall eines HR-Leiters: Dieser tat als Ansprechpartner bereits im ersten Telefonat kund, dass nur ein iteratives Vorgehen für ihn infrage komme. „Das war ein großer Vorteil für uns“, so Wippermann: „Die Einstellung auf Kundenseite für den Prozess war bereits da, und wir mussten erst gar nicht überzeugen, dass weitreichendes Planen und Kontrollieren des Wandels kaum möglich und stattdessen Agilität im Sinne von Ausprobieren und Steuern die Maxime sei.“
Wünscht der Auftraggeber, dass das gesamte Unternehmen agil werden soll, ist Christian Schwedler zufolge wiederum Vorsicht geboten. „Alte Vorgehensweisen sind nicht per se schlecht, und in der Regel benötigt das Kerngeschäft erstmal keine agilen Arbeitsweisen“, begründet er. Insgesamt müsse gut hingeschaut werden, wo Neuerungen sinnvoll sind und wo weiterhin nach dem klassischen Prinzip verfahren werden kann. Wie Jan Stephan Schmaderer hinzufügt, ist es in der Regel wichtig, darüber aufzuklären, was Agilität überhaupt bedeutet. Denn viele Unternehmen würden manchmal nicht wissen, was sich hinter dem Begriff im Detail verbirgt. „Einfach nur schnell und flexibel zu sein, ist es definitiv nicht!“, stellt er klar. Unter anderem sei den Firmen somit auch nicht klar, dass, wenn ein Bereich agil gestaltet wird, dies die gesamte Organisation zerreißen könne, weil dies natürlich die Interaktion mit anderen Bereichen stark beeinflusse. „Sind die Auswirkungen nicht bekannt, kann das einen existenzgefährdenden Schaden in der Organisation verursachen“, weiß Schmaderer.
„Es ist wichtig, nicht ausschließlich zu betonen, was sich verändert, sondern mindestens genauso viel Redezeit oder Powerpoint-Folien darauf zu verwenden, was bleibt.“
Frank Wippermann, Geschäftsführender Gesellschafter, flow consulting gmbh
Unser Dossier
Change Management hilft Unternehmen, Veränderungen strukturiert und erfolgreich umzusetzen. In unserem Dossier erfahren Sie, wie Kommunikation, Training und Widerstandsmanagement Veränderungen unterstützen können.
Die Geschäftsführung muss im Boot sein
„Wenn agile Instrumente eingeführt werden, ist dafür eine gewisse Reife in der Organisation notwendig“, merkt Christian Weiland an. Wichtig sei zudem – und das gelte für Change-Projekte generell –, dass die Geschäftsleitung beziehungsweise der Vorstand hinter den Veränderungen stehe, als Taktgeber agiere und in einen Dialog mit den Mitarbeitenden trete. So könnten auch umfassende Change-Vorhaben gelingen. Der Berater berichtet von einem Auftrag einer ganzheitlichen Transformation mit dem Ziel, den Business-Fokus von B2B auf B2C neu auszurichten. „Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Organisation nicht nur ihre Aufbaustruktur umgestaltet und angefangen, eine neue IT-Landschaft aufzusetzen und sich mit den zukünftig benötigten Skills und Talentprofilen auseinanderzusetzen. Entscheidend war die Erkenntnis der Vorstandsvorsitzenden, dass der Spruch ‚culture eats strategy for breakfast‘ stimmt“, erläutert Weiland. Als Konsequenz habe sich der Vorstand als Teil einer umfassenden Kulturtransformation in einen kontinuierlichen ehrlichen Dialog mit den Mitarbeitenden begeben. „Das war ein entscheidender Hebel, um die Veränderungsbereitschaft der Menschen im Betrieb zu sichern“, sagt er.
Das Optimum ist laut Claudia Schmidt, wenn sich die Kommunikation der Geschäftsleitung zu den Mitarbeitenden nicht auf Newsletter oder Fishbowl-Diskussionsrunden beschränke. „Ich habe hier ein Projekt vor Augen, wo die Geschäftsführenden sich täglich in der Produktion haben blicken lassen, um mit den Mitarbeitenden zu sprechen. Das hat hinsichtlich der Qualität des Prozesses einen großen Unterschied gemacht, weil die Menschen im Betrieb Vertrauen gewonnen und sich für die Veränderungen wirklich geöffnet haben“, führt sie aus.
Auch Jan Stephan Schmaderer plädiert dafür, Mitarbeitende über die Regelkommunikation hinweg zu motivieren. Darüber hinaus sei wichtig, zunächst die Führungskräfte vom Change zu überzeugen. „Ihre Veränderungsüberzeugung kann in einer Mitarbeiterbefragung mittels einer Frage wie ‚Sind Sie davon überzeugt, dass die Veränderung sich in Ihrem Arbeitsbereich positiv auswirken wird?‘ festgestellt werden. Wenn die Führungskräfte dies verneinen, ist nicht zu erwarten, dass sie die Mitarbeitenden für die aktive Gestaltung der Veränderung begeistern werden.“ Schließlich sollten die Führungskräfte als Multiplikatoren und Motivatoren für die Veränderung agieren. „Unterstützend kann die Integration von Change Agents ein starker Motor für die Veränderungsakzeptanz sein“, so Schmaderer.
Christian Weiland macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die Führungskräfte sich in einer äußerst herausfordernden Situation befinden: „Sie müssen mit den persönlichen Veränderungen zurechtkommen, gleichzeitig herrscht die Erwartungshaltung, dass sie ihr Team gut durch die Veränderung führen. Und damit werden sie meistens alleingelassen“, erläutert er. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt Weiland, den Fokus im Change-Prozess stärker auf die operativen Führungskräfte zu richten. „Die Rolle der Führungskräfte muss klar sein“, ergänzt Frank Wippermann: „Sie haben die Aufgabe, ihrem Team deutlich zu machen, was hinsichtlich des Wandels im Unternehmen erwartet wird.“ Gleichzeitig sollten sie ihre Mitarbeitenden ausprobieren und machen lassen. „Dies auszuhalten und nicht ständig reinzugrätschen, ist für viele Führungskräfte eine schwierige Angelegenheit“, weiß Wippermann. Die Haltung, alles zu wissen und im Griff zu haben, stehe hier im Wege. Zielführend sei vielmehr, den Mitarbeitenden einen Rahmen und gleichzeitig Freiraum zu geben.
Als „vertane Chance“ bewertet Per Protoschill, Stuttgarter Vorsorge-Management, die jetzige Lösung. Ebenso sei nicht einleuchtend, warum ein Arbeitgeber, der mit seinem Betriebsrat zugunsten seiner Arbeitnehmer ein Opting-out-System mit Entgeltumwandlung auf den Weg bringt, dadurch bestraft werden soll, dass er einen Arbeitgeberzuschuss von 20 Prozent statt wie üblich von 15 Prozent des umgewandelten Entgelts leisten müsse.
Optimistischer beurteilt Klaus Bednarz von Mercer die Perspektiven für tarifgebundene Unternehmen: „Wieso sollten die Tarifparteien nicht künftig Opting-out- oder ähnliche Modelle in ihren Tarifverträgen verankern?“ Bereits vor Verabschiedung des Altersvermögensgesetzes im Jahr 2008 wurden mit dem drohenden, aber letztendlich nicht umgesetzten Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit von Entgeltumwandlung in Haustarifverträgen Modelle mit Entgeltverzicht umgesetzt, die eine 100-prozentige Beteiligungsquote zum Ziel hatten.
„Change muss immer ganzheitlich betrachtet werden, da isolierte Veränderungen in einzelnen Bereichen Spannungen erzeugen und die Organisation destabilisieren können.“
Jan Stephan Schmaderer, Managing Director, JSS HR & Consulting Services
Die Veränderungsbereitschaft steigern
Zwischenfazit: Sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte sind gefordert, neue Verhaltensweisen und ein neues Mindset zu entwickeln. Das sind keine neuen Erkenntnisse, und dennoch ist die Veränderungsbereitschaft der Menschen im Unternehmen immer noch der Hemmschuh schlechthin im Change. Frank Wippermann erklärt dies mit dem Endowment-Effekt, ein Phänomen, das auf den israelisch-US-amerikanischen Psychologen und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman zurückgeht. „Wir mögen vor allem, was wir kennen – deshalb sind Menschen veränderungsfähig, aber nicht unbedingt veränderungsbereit“, erläutert Wippermann. Er empfehle seinen Kunden daher immer, nicht ausschließlich zu betonen, was sich verändert, sondern mindestens genauso viel Redezeit oder PowerPoint-Folien darauf zu verwenden, was bleibt.
Um die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden zu stärken, empfiehlt Christian Schwedler darüber hinaus, deutlich zu machen, was sich durch die Veränderung – sowohl für den Einzelnen als auch insgesamt im Unternehmen – verbessert, welche Potenziale in ihr stecken. Wichtig ist zudem – und das sollte laut Ilona Indra allem vorangehen –, herauszufinden, warum die Menschen sich gegen die anstehenden Veränderungen sträuben. Darauf werde leider oftmals nicht hinreichend geschaut. „Ich brauche aber eine situative Problemanalyse, die aufzeigt, welche Realitäten in den unterschiedlichen Gruppen der Belegschaft herrschen und was der gefühlte Gewinn und Verlust aus Sicht der Einzelnen ist“, sagt sie. „Wenn ich darum weiß, kann ich anschließend einen Kontext ohne diese Hürden schaffen, um die Veränderungsfähigkeit der Menschen zu aktivieren.“ Zudem lege eine solche Analyse die Grundlage für eine gelungene Kommunikation.
„Der Vorstand sollte immer hinter den Veränderungen stehen, als Taktgeber agieren und in einen Dialog mit den Menschen im Betrieb treten.“
Christian Weiland, Principal Transformation Germany, Mercer Deutschland GmbH
KI erweitert den Werkzeugkoffer
Was die Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Change Management betrifft, so ist laut Weiland der Werkzeugkoffer breiter geworden. KI mache vieles möglich: „Wir arbeiten beispielsweise mit AI-gestützten, digitalen Fokusgruppen, die uns erlauben, große Mengen an qualitativen Daten zu sammeln und auszuwerten“, so Weiland. Auch beim Thema Training, Coaching und in Sachen Kommunikation sei KI eine Unterstützung und erlaube Skalierbarkeit, ohne Tiefe zu verlieren. „Allein die Möglichkeit, eine Rede vom CEO in verschiedene Länder live zu übertragen und per AI simultan zu übersetzen, ist ein großer Gewinn“, nennt Weiland ein Beispiel.
Dass die KI das Steuer irgendwann ganz übernehmen wird, glaubt der Mercer-Berater nicht. „Change Management wird auch in Zukunft auf einer zwischenmenschlichen Ebene basieren. Vertrauens- und Beziehungsaufbau sind hierfür entscheidend. Und das geschieht immer von Mensch zu Mensch“, sagt Weiland.
„Am Ende ist KI ein Tool, das jedoch fundamental auf Arbeitsweisen, Kollaborationen und Mensch-Maschine-Interaktionen einwirkt“, meint Ilona Indra. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang sei, für was die KI in Zukunft so selbstverständlich genutzt werde, wie etwa heute der Taschenrechner fürs Rechnen. Zudem sei es entscheidend, zu wissen, welche Skills für die veränderten Arbeitsweisen und -felder künftig benötigt werden.
Frank Wippermann zufolge ist hiermit eine Kernaufgabe für HR in den kommenden Jahren verknüpft: „HR-Verantwortliche müssen wissen, wie sich die Anforderungen der zehn häufigsten Jobs in ihrem Unternehmen bei fortschreitender Digitalisierung samt KI verändern – sowohl, was die fachlichen Fähigkeiten betrifft, als auch, was die Schlüsselqualifikationen angeht. Hiervon ausgehend kommt es für sie darauf an, ihre Mitarbeitenden in diesen Jobs entsprechend zu qualifizieren und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie die veränderten Tätigkeiten gut ausführen können.“
„Bei Veränderungen geht es oft um große Themen, die eine Kulturänderung implizieren. Das ist nichts, was man vollumfänglich steuern kann.“
Christian Schwedler, Keynote Speaker & Autor
Schattenseiten von KI
So wie mögliche Zukunftskompetenzen zu analysieren sind, müssen Unternehmen wie Beratende nach Ansicht von Christian Schwedler auch die nächsten Innovationsschritte mitdenken. Damit zeigen sich gleichzeitig die Schattenseiten und Risiken der Künstlichen Intelligenz. „Aktuell kennen wir KI nur in Form von ChatGPT und ähnlichen Tools – also als Assistenten beziehungsweise als kreative Sparringspartner. Doch die Entwicklung wird weitergehen. Als Nächstes werden wir es mit Agents zu tun haben, die eigenständig Entscheidungen treffen“, ist der Keynote-Speaker überzeugt. Er geht davon aus, dass der Mensch dann zum Teil nicht mehr weiß, wie Entscheidungen zustande gekommen sind, Kontrolle über die KI also verlorengeht.
Stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass in Zukunft KI-gestützte Agents die Change-Beratung übernehmen. Nach Einschätzung von Ilona Indra könnte es sein, dass KI-gestützte Change-Agenten genutzt werden, die Coaching-Gespräche mit den Change-Verantwortlichen im Unternehmen führen, um diese beispielsweise zu beraten, wie sie bestimmte Projekte angehen oder wie sie Personas entwickeln. „Es gibt bereits Leadership-Coachings, die auf Basis von AI funktionieren. Der Weg ist somit vorgezeichnet“, sagt sie. Doch immer dann, wenn strategische Beratungskompetenz und neue Lösungen benötigt würden, sind ihrer Meinung nach Change-Management-Beratende in menschlicher Person weiterhin gefragt. Unterm Strich – so ist Indra überzeugt – wird das Aufgabenfeld für Change-Berater und -Beraterinnen nicht kleiner, sondern größer. Die Aussichten sollten also auch in Zukunft gut bleiben!
Fotos: Bernd Roselieb, Christian Schwedler, MUTAREE