Die Diskussion über Zeiterfassungssysteme ist in den vergangenen Jahren intensiver geworden, insbesondere, seit 2019 durch das EuGH-Urteil sowie 2022 durch den BAG-Beschluss die verpflichtende Erfassung von Arbeitszeiten in den Fokus gerückt wurden. Seitdem haben viele deutsche Unternehmen nachgerüstet und erfassen die Arbeitszeit ihrer Angestellten mit Hilfe von entsprechenden Tools.
Ganz so reibungslos geht diese „Zeitenwende“ offenbar nicht vonstatten: Eine aktuelle Studie des HR-Dienstleisters SD Worx zeigt, dass die Akzeptanz solcher Systeme in Europa und speziell in Deutschland stark variiert. Während viele die Zeiterfassung als hilfreiches Werkzeug betrachten, empfinden andere sie als Stressfaktor und Kontrollinstrument.
Laut der Studie, für die rund 5.000 Unternehmen und 18.000 Mitarbeitende in 18 europäischen Ländern befragt wurden, sieht zwar mehr als die Hälfte der europäischen Beschäftigten klare Vorteile in der Zeiterfassung. Sie helfe, Arbeitsabläufe besser zu organisieren, Aufgaben zu planen und übermäßige Überstunden zu vermeiden. In Deutschland teilen 56 Prozent diese Meinung und betrachten Zeiterfassung als wichtiges Mittel zur Strukturierung ihres Arbeitsalltags. Dennoch bleibt die Methode umstritten: Europaweit empfindet ein Drittel der Befragten Zeiterfassung als belastend, da sie als Zeichen von Misstrauen und Kontrolle wahrgenommen wird.
Einer von denen, der eine genaue Zeiterfassung kritisiert, ist zum Beispiel Markus Hartmann. Zumindest in den PR-Agenturen, die der Nürnberger berät, sei eine Zeiterfassung ziemlich hinderlich – für Mitarbeitende und Geschäftserfolg gleichermaßen: „Kaum jemandem ist bewusst, dass die Zeiterfassung Stress und Druck bei den Mitarbeitern erzeugt und sie damit kreativer Wertschöpfung, Produktivität und Zusammenarbeit fundamental entgegensteht“, glaubt Hartmann. Damit ist er in guter Gesellschaft: Cawa Younosi, Ex-Personalchef bei SAP Deutschland, unkte nach dem BAG-Urteil bereits im Jahr 2022, dass „die gute alte Stechuhr New Work, Flexibilität, Selbstorganisation und Agilität zum Frühstück essen wird“.
Widerspruch zu dieser Position kommt von der Soziologin Sabine Pfeiffer: „Wir wissen, dass von Vertrauensarbeitszeit eher die Arbeitgeber profitieren, weil Menschen dazu neigen, nicht einfach um 17 Uhr den Stift fallen zu lassen – aus Kollegialität oder weil sie besonders engagiert sind.“ Arbeitszeiterfassung werde nicht als Kontrolle empfunden, sondern als Entlastung: „Ich kann mir eine Auszeit gönnen, weil ich weiß, dass ich Mehrarbeit geleistet und die auch dokumentiert habe.“
Unterschiede auf europäischer Ebene
Auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass es innerhalb von Europa teils große Unterschiede bei der Bewertung einer elektronischen Zeiterfassung gibt. Während diese in Ländern wie Finnland und Dänemark – ähnlich wie in Deutschland – von vielen kritisch gesehen wird, betrachten laut SD-Worx-Studie Beschäftigte in anderen Teilen Europas die Systeme als Beitrag zur Selbstbestimmung und Effizienzsteigerung.
Die kulturellen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen spielen dabei eine wesentliche Rolle: In einigen Ländern wird Zeiterfassung als Werkzeug zur Kontrolle wahrgenommen, in anderen als Unterstützung bei der Selbstorganisation.
Digital dominiert, Papier hält sich
Aller Kritik zum Trotz: Die Zahlen sprechen dafür, dass die elektronische Zeiterfassung in den Unternehmen angekommen ist. Laut SD-Worx-Studie nutzen fast 70 Prozent der Mitarbeitenden, die ihre geleisteten Stunden erfassen, inzwischen digitale Tools. Dieser hohe Anteil ist nicht nur den gesetzlichen Vorgaben geschuldet, sondern auch der zunehmenden Bedeutung flexibler Arbeitsmodelle wie zum Beispiel im Homeoffice.
Die gute, alte Excel-Datei oder gar Stift und Papier haben allerdings längst noch nicht ausgedient. Das bestätigt eine weitere Studie des Softwareanbieters Protime, für die im Mai 2024 rund 2.000 Angestellte in Deutschland befragt wurden. Während 41 Prozent Systeme auf dem PC oder Laptop nutzen, verwenden 12 Prozent mittlerweile Apps. Knapp ein Drittel (29 Prozent) hält immer noch an traditionellen Methoden fest. 15 Prozent bevorzugen dabei die Excel-Tabelle, während 14 Prozent auf Zettel und Stift setzen.
Eine dritte Studie von Tisoware aus dem Jahr 2023 schlüsselt zudem auf, dass die Arbeitnehmenden insbesondere in Deutschland ihre Arbeitszeit teilweise sehr granular dokumentieren: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden (56 Prozent) erfasst ihren Dienstanfang und -ende, ein Drittel (30 Prozent) hält die Mittagspause fest. Jeder Fünfte (21 Prozent) überträgt zudem die ausgeübte Tätigkeit. Projekt- oder Bereichsangabe sowie der Ort der Arbeit – ob im Unternehmen oder im Homeoffice – halten jeweils 18 Prozent der Befragten fest. Kleinere Pausen zwischendurch, wie beispielsweise Raucher-, Toiletten- oder Kaffeepausen, werden von 12 Prozent der Befragten erfasst. Für die Studie wurden 1.000 Mitarbeitende aus mittelständischen Unternehmen befragt.
Generation Z ist eher kritisch
Ausgerechnet jüngere Beschäftigte, vor allem die vermeintlich technikaffine Generation Z, stehen laut Protime-Studie der Einführung von Zeiterfassungssystemen mit großer Skepsis gegenüber. 57 Prozent der Gen Z äußern Bedenken, dass diese Systeme zu mehr Kontrolle und weniger Freiheit führen könnten. Auch 44 Prozent der Millennials haben Vorbehalte. Im Gegensatz dazu betrachten ältere Generationen, wie die Babyboomer, die Zeiterfassung überwiegend positiver: 62 Prozent sind offen für die Nutzung digitaler Zeiterfassungstools.
Interessanterweise schätzen die jüngeren Generationen die Effizienz solcher Systeme jedoch höher ein, sobald sie implementiert sind. Knapp 70 Prozent der Gen Z und 66 Prozent der Millennials sehen Zeiterfassung als vorteilhaft, insbesondere bei der Reduzierung von Überstunden und Stress. Dies könnte auf den verstärkten Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance in diesen Altersgruppen hinweisen, glauben die Studienmacher.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.