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Außertarifliche Gehaltsberechnung geht vor Gericht nicht durch

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Die Tarifparteien definieren in ihrem Tarifvertrag einen Geltungsbereich und legen fest, welche Angestellte nicht dazu gehören und daher außertariflich beschäftigt sind. Dabei kann unter anderem die Tätigkeit des Beschäftigten ein Grund dafür sein, nicht in die tariflichen Entgeltgruppen eingestuft zu werden. Aber auch ein höheres Entgelt kann Anlass dazu sein. Um diese Regelungen für außertarifliche (AT) Beschäftigte ging es nun bei einem Rechtsstreit vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). 

Bei der IG Metall NRW wurde im Tarifvertrag beides als Grund für eine AT-Beschäftigung geregelt. Während manche Tarifverträge eine Abstandsklausel beinhalten, die aussagt, wie viel Abstand das Entgelt eines Beschäftigten zur höchsten Entgeltgruppe des Tarifvertrages haben muss, gibt es eine solche Klausel bei dem Arbeitgeber des Klägers nicht. Bei der tarifgebundenen Beklagten gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen, insbesondere der Manteltarifvertrag (MTV), und das Entgeltrahmenabkommen NRW (ERA). In diesen heißt es, dass das Entgelt des AT-Beschäftigten das Entgelt der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten muss. Um wie viel (Abstandsklausel), ist nicht geregelt. 

In allen Instanzen verloren 

Der angestellte Entwicklungsingenieur verlangte 23 Prozent mehr Gehalt von seinem Arbeitgeber, da ihm durch seine AT-Beschäftigung ein gewisser Abstand zu den Tarifvertrag-Entgeltgruppen zustünde. Allerdings trotz großer Beharrlichkeit erfolglos. Zunächst verlor er vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach, dann vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf und gestern ebenfalls vor dem BAG. 

Worum ging es genau? Die Vergütung der höchsten Stufe der höchsten tariflichen Entgeltgruppe betrug bei dem Arbeitgeber im Streitzeitraum 8.210,64 Euro brutto. Bis zur Klageerhebung im Jahr 2022 verdiente der Beschäftigte 7.380 Euro sowie eine Zuwendung zum Zwecke der altersvorsorgewirksamen Leistungen und eine Gewinnbeteiligung. Der Kläger verdiente daraufhin rückwirkend seit Juni 2022 insgesamt 8.212 Euro brutto monatlich. Damit liegt er durch die Erhöhung 1,36 Euro über dem Entgelt der höchsten Tarifgruppe und ist somit AT-Beschäftigter. Er war weiterhin der Meinung, dass ein solches „Überschreiten“ als Voraussetzung für eine AT-Beschäftigung nur angenommen werden könne, wenn sein Monatsgehalt 23,45 Prozent über demjenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe liege. Dies ergebe bei ihm ein Bruttomonatsgehalt von 10.136,03 Euro, sodass sein Arbeitgeber verpflichtet sei, ihm für die Monate Juni 2022 bis Februar 2023 insgesamt 17.326,27 Euro brutto als weitere Vergütung nachzuzahlen.  

Die 23,45 Prozent würden sich aus der sukzessiv ansteigenden tariflichen Spreizung der Entgelte der Entgeltgruppen 1 bis 14 ergeben. Sprich: Den Abstand, den die Entgeltgruppen im Tarifvertrag haben, wollte er auch auf den Abstand der AT-Vergütung zur höchsten Tarifgruppe anwenden. Da sein Gehalt diesen selbst errechneten Abstand aber nicht wahrt, wollte er die Differenz nachgezahlt bekommen. Diese Berechnung des Klägers konnte bereits das Arbeitsgericht allerdings „rechnerisch nicht nachvollziehen“. 

Seine Anwältin Ingrid Heinlein vom Anwaltsbüro Windirsch, Britschgi & Wilden teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit: „Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat entschieden, dass bereits die Zahlung von 1 Cent zusätzlich zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe den erforderlichen Abstand wahrt. Offengelassen hat es, ob 1 Cent mehr pro Stunde oder pro Woche oder pro Monat, vielleicht sogar pro Jahr den Abstand wahrt.“

Das BAG ergänzt keine Regelungen in Tarifverträgen 

Die Anwältin führt zudem die Intention des Rechtsstreits aus: „Wir haben im Rechtsstreit die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber die Höhe der AT-Vergütung nach billigem Ermessen festzusetzen hat und durch die Gerichte zu kontrollieren ist, ob die festgesetzte Vergütung billigem Ermessen entspricht.“

Im Grunde wollte der Beschäftigte eine Konkretisierung der Abstandsklausel – und in der Folge eine Nachvergütung – einklagen, die im Tarifvertrag aber nicht vorgesehen ist. „Angesichts dessen verbietet sich eine ergänzende Tarifauslegung wie sie dem Kläger vorschwebt“, teilte das BAG in der Pressemitteilung zum Urteil mit. Die von Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie verbiete ein „Nachbessern“ tariflicher Bestimmungen durch die Gerichte zugunsten der einen oder anderen Seite. 

Das BAG habe der Anwältin Heinlein zufolge aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Abstand werde gewahrt, wenn ein Cent pro 40-Stunden-Woche mehr gezahlt werde. „Aus dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung lässt sich diese Auslegung allerdings nicht herleiten, denn weder werden dort Zahlen genannt, noch kommt darin zum Ausdruck, dass nur ein Minimalbetrag mehr gezahlt werden soll“, teilt Heinlein mit. Dass dieses Ergebnis dem Willen der IG Metall und des Arbeitgeberverbandes entsprochen hätte, sei für sie schwer vorstellbar: „Ich kann dem Urteil nicht folgen.“

Bernd Pirpamer, Arbeitsrechtler bei der Kanzlei Eversheds Sutherland, kommentiert im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wenn das BAG hier gesagt hätte, die Übertragung der Abstände der tariflichen Entgeltgruppen auf den Abstand zum AT-Bereich ist korrekt, dann hätte es ein Aufhorchen gegeben.“ Dies hätte sich auf viele Tarifverträge ausgewirkt und es hätte eine Abstandsklausel erzeugt bei allen, die bewusst keine haben. „Das BAG bestätigt einmal mehr, dass die Tarifparteien die Hoheit über die Ausgestaltung der Geltungsbereiche ihrer Tarifverträge haben“, sagt Pirpamer.  

Verträge mit AT-Beschäftigten prüfen 

Inwiefern Angestellte tatsächlich AT-Beschäftigte sind, sei dem Anwalt zufolge häufig ein Streitthema. Die Mitbestimmung der Betriebsräte im AT-Bereich verstärke sich außerdem in letzter Zeit. „Denn wenn ein Beschäftigter aus dem Tarifvertrag rausfällt, zum Beispiel über Abstandsklausel, dann wird nicht nur das Gehalt freiverhandelt.“ Tarifliche Regelungen wie ein Sonderkündigungsschutz nach gewissen Dienstjahren würden dann ebenso nicht mehr gelten. 

Pirpamer empfiehlt allen Arbeitgebern mit AT-Beschäftigten in den AT-Verträgen darauf zu achten, dass die Abstände eingehalten sind, sofern es Abstandsklauseln gibt. Denn das BAG habe Beschäftigten durchaus auch Nachzahlungen zugestanden. „Wird einem Beschäftigten in seinem Vertrag ein AT-Status zugesagt und es gibt eine Abstandsklausel, dann muss diese auch angewandt werden und entsprechend hoch vergütet werden.“

Info

Dieser Artikel erschien am 24. Oktober 2024 und wurde am 25. Oktober 2024 um die Stellungnahme der Anwältin des Klägers ergänzt.

Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie die Erstellung der zahlreichen Newsletterformate sowie unser CHRO-Panel.