Kündigt ein Arbeitgeber einem Mitarbeitenden und stellt diesen für die Zeitspanne der Kündigungsfrist trotz Anspruchs auf Beschäftigung unwiderruflich von der Arbeit frei, ist der Gekündigte nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht automatisch verpflichtet, sich bereits innerhalb dieser Frist einen neuen Job zu suchen. Zugleich handele der Betroffene nicht „böswillig“, wenn er nicht rasch einen neuen Arbeitsvertrag abschließt.
Geklagt hatte ein Senior Consultant, dessen Arbeitsverhältnis mit einem Monatsgehalt in Höhe von 6.440 Euro brutto unternehmensseitig Ende März 2023 fristgerecht schriftlich und ordentlich zum 30. Juni 2023 gekündigt worden war. Der Arbeitgeber stellte den Mitarbeiter zugleich „unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei“, heißt es in einer BAG-Pressemitteilung.
Rechtfertigen Stellenvorschläge Vergütungsstopp?
Nach Erhalt seiner Kündigung informierte der Consultant die Agentur für Arbeit über seine aktuelle berufliche Situation. Anfang Juli, also nach Ablauf der Kündigungsfrist, erhielt er die ersten Vermittlungsvorschläge. Zuvor hatte sein ehemaliges Unternehmen ihm im Mai und im Juni bereits 43 Stellenangebote aus Jobportalen oder von online gestellten Unternehmens-Gesuchen geschickt. Auf sieben der Stellenangebote bewarb sich der Gekündigte – allerdings erst gegen Ende der Kündigungsfrist.
Da aus Sicht des scheidenden Arbeitgebers jedes der Stellenangebote auf den Kläger gepasst habe, zahlte das Unternehmen dem Mann im Juni 2023 keine Vergütung mehr. Die machte er deshalb vor dem Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen geltend.
Das Unternehmen bestritt jedoch den Anspruch und beantragte Abweisung der Klage. Zur Begründung verwies es laut Gerichtsangaben darauf, der Kläger habe es versäumt, „sich während der Freistellung zeitnah auf die Stellenangebote zu bewerben“, die ihm zugestellt worden waren. Wegen dieser Unterlassung „müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen“.
Arbeitgeber in Annahmeverzug
Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, war der Mitarbeiter mit seiner Berufung vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich. Es ging weiter an das BAG und vor diesem scheiterte nun auch die Revision des Arbeitgebers.
Der Fünfte Senat entschied, dass der Arbeitgeber dem Kläger die vereinbarte Vergütung „für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist“ schulde. Denn die Beklagte habe sich „aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug“ befunden. Daher schulde sie dem Mann nach § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB für die gesamte Dauer der Freistellung die vertragliche Bezahlung in Höhe von 6.440 Euro.
Die Richterinnen und Richter stellten zudem klar, dass sich der Kläger einen nicht erzielten sogenannten anderweitigen Verdienst „nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen“ muss. Denn aufgrund der enthaltenen Billigkeitsregelung könne von dem gekündigten Arbeitnehmer nicht erwartet werden, „schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Beklagten ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen“. Vielmehr bestehe ein Zusammenhang mit den Pflichten des Arbeitgebers.
Das beklagte Unternehmen habe beispielsweise nicht dargelegt, dass es ihm unzumutbar gewesen wäre, den Kläger auch während der Kündigungsfrist zu beschäftigen. Daher bestand für den Kläger auch „keine Verpflichtung“, noch vor Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen Job anzutreten, um zur finanziellen Entlastung des Arbeitgebers beizutragen.
Insgesamt, so das BAG, sei der mit einer fiktiven Anrechnung nicht erworbenen Verdienstes beim Arbeitnehmer eintretende Nachteil „nur gerechtfertigt, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist“. Das aber sei hier nicht der Fall.
Info
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Februar 2025, Az. 5 AZR 127/24.
Vorinstanzen:
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Kammern Freiburg), Urteil vom 03. Mai 2024, Az. 9 Sa 4/24.
- Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen (Kammern Radolfzell), Urteil vom vom 16. November 2023, Az. 7 Ca 216/23.