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Sexuelle Belästigung: Ausbildungsverhältnis gekündigt

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Belästigt ein männlicher Auszubildender eine Azubi-Kollegin sexuell, kann das ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses sein. Das gilt laut Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen auch dann, wenn sich der Übergriff außerhalb der Arbeitszeit ereignet hat.

In ihrer Freizeit können Auszubildende und Arbeitnehmer prinzipiell tun und lassen, was sie möchten. In manchen Fällen kann jedoch auch außerdienstliches Verhalten arbeitsrechtliche Bedeutung bekommen und Sanktionen nach sich ziehen – etwa, wenn eine Handlung als Leistungsstörung im Rahmen des Arbeitsvertrages anzusehen ist und negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander beziehungsweise das Arbeits- oder Berufsausbildungsverhältnis mit sich bringen kann.

Azubi berührt 19-Jährige ohne Einverständnis

Das musste ein 26-jähriger Auszubildender eines Autoherstellers erfahren, der im Sommer 2022 zusammen mit etwa 20 anderen männlichen und einer weiblichen Auszubildenden an einer Bildungsurlaubsmaßnahme teilnahm. Nachdem einige aus der Gruppe ein Volksfest besucht und dabei auch Alkohol getrunken hatten, gingen sie spätabends in ein Schwimmbad auf dem Seminargelände. Dort legte der spätere Kläger nach Gerichtsangaben seinen Arm um die 19-jährige einzige weibliche Auszubildende unter den Teilnehmenden, berührte ihre Brust und machte mutmaßlich Kussbewegungen in Richtung ihres Kopfes.

Als der Vorfall dann im August der Personalabteilung des Werkes bekannt wurde, kündigte das Unternehmen Anfang September das Ausbildungsverhältnis mit dem angehenden Elektroniker für Automatisierungstechnik fristlos. Ein später eingeleitetes Schlichtungsverfahren blieb ergebnislos.

Gegen die fristlose Kündigung klagte der Mann – allerdings vergeblich. Denn laut Arbeitsgericht Braunschweig war sein Verhalten eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die laut § 7 Abs. 3 AGG geeignet sein kann, als Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Zudem gelte im Betrieb eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten“ sowie eine Arbeitsordnung, der zufolge sexuell übergriffiges Verhalten regelmäßig als „Störung des Betriebsfriedens“ eingestuft werde.

Auch im Berufungsverfahren fand der Auszubildende kein Gehör. Wie das LAG klarstellte, kann auch eine einmalige sexuelle Belästigung einer Azubi-Kollegin außerhalb der Arbeitszeit an sich „einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen“. Das gelte insbesondere, wenn das Verhalten „negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat“.

Hinzukomme, so die Kammer, dass das Unternehmen „ein eigenes schutzwürdiges Interesse“ daran habe, einen respektvollen Umgang in der Belegschaft und auch unter Praktikanten, Praktikantinnen und Auszubildenden sicherzustellen. Der Arbeitgeber selbst und Ausbilder oder Ausbilderinnen im Unternehmen seien „nach § 12 Abs. 1 und 3 AGG darüber hinaus gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen“.

Weiterführung des Berufsausbildungsverhältnis unzumutbar

Aus Sicht der Richterinnen und Richter verstößt die außerordentliche Kündigung in diesem Fall auch „nicht gegen das Ultima-Ratio-Prinzip“. Zwar könne eine fristlose Entlassung immer nur dann in Betracht gezogen werden, „wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind“. Davon sei hier jedoch auszugehen.

Zum einen nämlich sei der Mann zum Zeitpunkt des Geschehens fast 26 Jahre alt gewesen und könne sich nicht auf mangelnde Reife oder Alkoholkonsum berufen. Zum anderen habe er geäußert, seine Kollegin „solle sich nicht so anstellen“, was zeige, dass er „im Einzelfall von weiblichen Auszubildenden erwartet, dass sie seinen sexuellen Zudringlichkeiten nachgeben oder sie zumindest dulden“.

Angesichts der Schwere der Vertragspflichtverletzung und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust, so das Fazit des LAG, könne dem Arbeitgeber nicht abverlangt werden, zunächst lediglich eine Abmahnung auszusprechen.

Der Artikel wurde zuerst auf unserem Schwesterportal Betriebsratspraxis24 veröffentlicht.

Info

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.