Es ist eine Premiere: In einem Flächentarifvertrag wurde ein Bonus für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart. Wer ein Jahr Mitglied der Gewerkschaft IGBCE (Bergbau, Chemie, Energie) wird, bekommt einen freien Tag mehr.
Das Prinzip ist grundsätzlich nicht neu: Gewerkschaften handeln seit Jahr und Tag die Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder aus. In der Regel ist es so, dass die Arbeitgeber die verhandelten Ergebnisse auf alle Mitarbeitenden ausrollen, also auch diejenigen, die keine Mitglieder einer Gewerkschaft sind. Das soll den Organisationsgrad in den Unternehmen klein halten – denn welche Motivation hätten Arbeitnehmer dann noch, sich einer Gewerkschaft anzuschließen? Zumal viele Themen, die früher ureigenes Gewerkschaftsterrain waren, mittlerweile in Gesetzesform gegossen wurden, sei es in Sachen Arbeitszeit, Urlaub oder Entgeltfortzahlung. Hinzu kommen der demografische Wandel und ein grundsätzlicher niedrigerer Organisationsgrad von Arbeitnehmern.
Diese Gewerkschaften ächzen daher seit Jahren unter Mitgliederschwund. Nicht zuletzt haben sie Sondertarifverträge für Gewerkschaftsmitglieder für sich entdeckt, um diesem entgegenzuwirken – auch wenn die IGBCE in diesem Fall betont, dass dies bei den Verhandlungen nicht die ausschlaggebende Motivation gewesen sei. „Bei Haustarifverträgen sehen wir solche Forderungen schon seit einigen Jahren, egal, welche Gewerkschaft auf der Gegenseite ist“, meint Dr. Christopher Melms, Partner und Tarifrechtsexperte im Münchner Büro der Kanzlei Seitz. In manchen Fällen wurden Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder auch durch die Hintertür durchgesetzt, in dem beispielsweise ein Arbeitgeber einen Verein gesponsort hat, der dann für die Gewerkschaftsmitglieder Erholungsleistungen erbracht hat.
Doch Arbeitgeber beziehungsweise Arbeitgeberverbände haben grundsätzlich kein großes Interesse an solchen Vereinbarungen, denn sie könnten den Organisationsgrad der Belegschaften erhöhen. Das könnte sich beispielsweise bei drohenden Streiks auswirken. Nun haben sie aber genau einer solchen Regelung zugestimmt. Warum?
Strategische Entscheidung
Am Ende ist alles eine Frage der Strategie: „Bei dem IGBCE Flächentarifvertrag ist ein weiterer freier Tag für Mitglieder der Gewerkschaft nicht besonders schmerzhaft für die Arbeitgeberseite“, erläutert Melms. Jeder Arbeitnehmer müsse sich nun entscheiden, ob ihm der zusätzliche freie Tag einen Jahresmitgliedsbeitrag bei der Gewerkschaft wert sei. „Die Arbeitgeberseite geht damit kein großes Risiko ein“, vermutet Melms, „und gemessen an den ursprünglichen Forderungen der IGBCE ist der Erfolg der IGBCE als nicht so hoch einzuschätzen.“
Dr. Burkard Göpfert, Arbeitsrechtspartner bei Kliemt in München, möchte den Abschluss jedoch nicht als „Niederlage“ für die Gewerkschaft verstanden wissen – ganz im Gegenteil: „Natürlich waren die ursprünglichen Erwartungen möglicherweise höher,“ erläutert Göpfert. „Doch bei näherer Betrachtung hat sich die Gewerkschaft hier aus meiner Sicht sehr taktisch verhalten“. Erstens, so Göpfert, sei durch die Durchsetzung der Sonderkonditionen in einem Flächentarifvertrag nun eine Art „Blaupause“ für zukünftige Tarifverhandlungen gesetzt worden. „Die anderen Gewerkschaften stehen nun unter dem Druck, nachziehen zu müssen.“ Und der vermeintlich „schlechte“ Abschluss könnte sich im Umkehrschluss noch als kluger Schachzug erweisen. „Wenn die Sonderkonditionen zu attraktiv wären, könnte dies – zumindest aus Sicht der Gerichte – Arbeitnehmer unter Druck setzen, der Gewerkschaft beizutreten.“ Spannend sei dennoch sicher, wie die Gerichte auf mögliche Klagen gegen diesen Tarifabschluss reagieren.
Grundsätzlich stehen Arbeitgeber nun vor der Entscheidung, diese Regelung auch auf die Nichtgewerkschaftsmitglieder auszuweiten. Tun sie es nicht und ein Arbeitnehmer möchte die Zusatzleistung in Anspruch nehmen, muss er seine Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber offenlegen. Aktiv abfragen dürfen Arbeitgeber die Gewerkschaftsmitgliedschaft ihrer Arbeitnehmer jedoch weiterhin nicht – egal, welche Sonderkonditionen eine Gewerkschaft für ihre Mitglieder ausgehandelt hat.
Catrin Behlau koordiniert die Magazinproduktion der Personalwirtschaft organisatorisch und thematisch. Sie leitet gemeinsam mit Matthias Schmidt-Stein die Redaktionen der HR-Medien von F.A.Z. Business Media. Ihre thematischen Schwerpunkte liegen im Berufsbild HR.