2020 wurde der Lieferdienst Flink als Start-up in Berlin gegründet. Während der Pandemie lief es gut für das junge Unternehmen. Derzeit kämpfen die Lieferdienste jedoch mit steigenden Kosten und sinkender Nachfrage. Trotzdem hatten sich erst im April dieses Jahres die Investoren verpflichtet, 100 Millionen Euro in das Unternehmen zu investieren.
Auch wenn die Finanzierung des Unternehmens anscheinend zunächst gesichert ist, sieht es aufseiten der Beschäftigten deutlich kritischer aus: Wie die WirtschaftsWoche berichtet, soll es seit April 2022 beim Arbeitsgericht Berlin 129 Verfahren gegen die Flink und die Tochtergesellschaften gegeben haben. Davon seien etwa 70 Prozent Kündigungsschutzklagen und 30 Prozent Zahlungsklagen. Inhalt der Klagen seien unter anderem Vorwürfe wegen falscher Lohnauszahlung und unrechtmäßiger Kündigungen.
Mitarbeitende empfehlen Lieferdienste selten weiter
Die Unzufriedenheit der Beschäftigten zeigt sich nicht nur vor Gericht, sondern auch in sozialen Netzwerken: Auf dem Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu bekommt Flink von Mitarbeitenden einen Weiterempfehlungs-Score von 39 Prozent. Bei Jobbörse Glassdoor sieht es ähnlich aus: 40 Prozent der Beschäftigten würden Flink als Arbeitgeber weiterempfehlen und nur 31 Prozent sehen die Zukunft des Unternehmens positiv.
Lieferdienste haben in Deutschland wirtschaftlich keinen einfachen Stand: Verschiedene Unternehmen wie Frischepost oder Getfaster mussten in den vergangenen Jahren bereits Insolvenz anmelden. Genauso die österreichische Tochtergesellschaft Flink Austria, die 2022 beim Handelsgericht Wien ein Insolvenzverfahren eröffnet hatte. Und auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Arbeit dort kein Zuckerschlecken. In einer Studie hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) das Wachstum und die Struktur der „Gig-Economy“ untersucht. Dabei zeigte sich: Fast die Hälfte dieser Menschen, die in der Gig-Economy arbeitet, ist geringfügig beschäftigt und ihr Einkommen ist geringer als in vergleichbaren Helferberufen.
Info
Gig Economy bezeichnet die kurzfristige und flexible Vergabe von zeitlich befristeten Aufträgen an Arbeitssuchende, Freelancer und geringfügig Beschäftigte auf episodischer Basis.
Gig-Arbeit bei App-basierten Lieferdiensten erlebte in Deutschland während der Pandemie einen Boom. Lockdowns und Kontaktbeschränkungen erhöhten die Nachfrage nach Lieferdiensten. Zeitweise waren während der Pandemie etwa 50.000 Menschen in der deutschen Gig-Economy beschäftigt, fanden die Forscher. Dabei sind die Beschäftigungsverhältnisse häufig von kurzer Dauer und bestehende Jobs werden stetig mit neuen Personen besetzt. Die Beschäftigungsverhältnisse sind zu Beginn häufiger befristet und der Job ist seltener der Hauptjob als in einer Vergleichsgruppe, die die Forscher des IAB untersuchten. Ganze 35 Prozent der Gig-Worker üben mehr als eine Beschäftigung gleichzeitig aus. Jobs als Gig-Worker bieten, laut IAB, oft einen niedrigschwelligen Zugang zu Arbeit, da keine Vorkenntnisse erforderlich sind. Dazu passt, dass etwa 61 Prozent der Gig-Worker jünger als 30 Jahre alt sind.
Fazit des IAB: Aus individueller Perspektive kann es sich bei einer solchen Beschäftigung bei Lieferdiensten um prekäre Arbeit handeln, denn selbst bei Vollzeitjobs ist das Einkommen der Beschäftigten relativ gering. Über 6 Prozent der Gig-Worker sind geringfügig oder als Werkstudierenden beschäftigt. Das bedeutet, es werden keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und nur ein begrenzter Beitrag zur Alterssicherung gezahlt.
Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung sind oft schlecht
Bereits 2022 zeigte eine Studie, dass die Arbeitsbedingen bei Lieferdiensten oft prekär sind. Sicherheitsüberprüfungen bei Arbeitsplätzen fehlten oft; gestellte Ausrüstung schütze nicht vor ausreichend vor Risiken und Lager erfüllten Sicherheitsstandards nicht.
Auf eine Anfrage über bisherige oder geplante Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Kurierfahrer bei Flink, sagte ein Firmensprecher: „Über die letzten Jahre haben wir besonders daran gearbeitet, die eingesetzten Arbeitsmittel und eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeit zu verbessern, zudem wird regelmäßig in Schulung der Führungskräfte investiert, um ein noch besserer und kompetenter Ansprechpartner für alle Arbeitnehmer zu sein.“ Außerdem, so Flink, arbeitet das Unternehmen nicht mit klassischen Gig-Workern.
EU Richtlinie soll Mitarbeitende besser absichern
Zum Schutz der Menschen, die in der Gig-Economy arbeiten, hat das EU-Parlament im April für bessere Rechte von Arbeitnehmern der Onlineplattformen (Plattformarbeits-Richtlinie) gestimmt. Vor allem soll mit der Direktive Scheinselbstständigkeit verhindert werden. Künftig sollen Unternehmen beweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis besteht. „Die neuen Regeln werden Millionen Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Absicherung ermöglichen“, sagte die arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der Europa-SPD, Gaby Bischoff. Bis ein solches Gesetz in nationales Recht überführt wird und in Kraft tritt, wird jedoch noch einige Zeit vergehen.
Die vielen Klagen vor dem Arbeitsgericht Berlin zeigen jedoch, dass ein solches Gesetz dringend nötig ist.
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