Was bedeutet eine Insolvenz für den Stellenabbau?

Wir beantworten die wichtigsten Fragen. Was genau versteht man unter einer Insolvenz? Von Insolvenz spricht man, wenn ein Unternehmen seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr rechtzeitig und vollständig nachkommen kann und damit faktisch oder absehbar zahlungsunfähig ist. Vielfach wird dann ein Insolvenzverfahren eröffnet – mit dem Ziel, die Gläubiger möglichst zu bedienen und nach einer Sanierung wieder profitabel zu werden. Es gibt aber auch Fälle, in denen Firmen binnen kurzer Zeit durch mehrere Insolvenzverfahren gingen – das bekannteste der vergangenen Jahre dürfte Karstadt sein – und solche, bei denen eine Rettung nicht möglich ist und die am Ende aus dem Unternehmensregister verschwinden. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten der Insolvenz: die Insolvenz in Eigenverwaltung und die sogenannte Regelinsolvenz. Während im letzteren Fall vom Gericht ein Insolvenzverwalter eingesetzt wird, der vereinfacht ausgedrückt vorübergehend die Leitung des Unternehmens übernimmt, bleibt bei der Eigenverwaltung die bestehende Chefetage im Amt und bekommt lediglich einen Sachwalter als zusätzliche Kontrollinstanz an die Seite gestellt. Diese Form der Insolvenz ist gibt es seit rund 25 Jahren, aber erst seit einer Änderung der Insolvenzordnung im Jahr 2012 wird sie häufiger angewendet. Sie eignet sich vor allem, wenn das Insolvenzgericht gute Erfolgschancen für eine erfolgreiche Sanierung sieht. Mehr zum Thema Insolvenz: Fakten statt Angstmacherei Eine Insolvenz ist ein einschneidendes Erlebnis für alle Beteiligten. Um die Belegschaft nicht zu verängstigen, muss mit veralteten Mythen aufgeräumt werden. Mehr lesen Was ändert sich mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens? Michael Riedel (Foto: Advant Beiten) Vor allem die Entscheidungsbefugnis. Denn zumindest im Falle einer Regelinsolvenz in Fremdverwaltung gehen die Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter über, wie Michael Riedel schildert. Der Arbeitsrechtler und Partner bei der Kanzlei Advant Beiten erklärt: „Ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Verwalter derjenige, der beispielsweise befugt ist, Kündigungen auszusprechen oder mit dem Betriebsrat den Sozialplan zu verhandeln.“ Die Arbeitsverhältnisse, Betriebsvereinbarungen und so weiter liefen hingegen erst einmal weiter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie vorher. „Bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung behält der Arbeitgeber hingegen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis“, ergänzt Riedels Kollegin Lisa Brix. Der Sachwalter, der ebenso wie sonst der Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht bestimmt wird, hat dabei in aller Regel nur eine Überwachungsfunktion. Ist eine Insolvenz ein Grund für eine betriebsbedingte Kündigung oder für massiven Stellenabbau? Nein – die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens reicht als Begründung nicht aus. Das bestätigt auch Arbeitsrechtler Riedel. „In den meisten Fällen wird das Unternehmen im Rahmen der Insolvenz allerdings restrukturiert“, ergänzt er. Und das sei in vielen Fällen auch mit Stellenabbau verbunden. Dieser müsse aber unabhängig von der Insolvenz betrachtet werden. Denn entsprechende betriebsbedingte Gründe – etwa, dass einzelne Geschäftszweige nicht mehr weiterverfolgt werden – sind ja auch außerhalb einer Insolvenz legitime betriebsbedingte Gründe. Info Sie wollen mehr über das Thema Arbeitsrecht erfahren? Dann schauen Sie doch einmal in unser Dossier zum Thema. Dort berichten wir für Sie kontinuierlich über aktuelle Gerichtsurteile und Gesetze und erklären, was Sie als Personalerin oder Personaler wissen müssen. Lesen Sie rein! Eine Insolvenz erspart dem Arbeitgeber – beziehungsweise dem Insolvenzverwalter – auch nicht die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und die Verhandlung eines Sozialplans. Riedels Erfahrung nach wehre sich der Betriebsrat auch in diesen Fällen nicht selten öffentlichkeitswirksam gegen Stelleneinschnitte. „Irgendwann müssen aber Entscheidungen getroffen werden, und dann geht es in diesen Verhandlungen auch gut voran.“ Für Betriebsräte ebenso wie zum Beispiel schwangere Frauen gilt auch im Falle einer Insolvenz ein Sonderkündigungsschutz. Für alle anderen Mitarbeitenden gilt allerdings: Ihre Kündigungsfrist beträgt nur noch maximal drei Monate zum Monatsende, außer im Vertrag ist eine kürzere Frist vereinbart. Vertragliche Absprachen oder etwa die Betriebszugehörigkeit spielen also keine Rolle mehr. „Das ist in der Praxis schon eine wichtige Besonderheit“, sagt Riedel. Schließlich helfe die kürzere und über die Belegschaft konstantere Kündigungsfrist dem Insolvenzverwalter beim Stellenabbau. Zumal den Beschäftigten durch die kürzere Frist, die ja auch bei einer Eigenkündigung gilt, der Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber tendenziell erleichtert werde – ob das vom Arbeitgeber nun gewollt ist oder nicht. Wie sieht es mit Abfindungen aus? Auch bei Kündigungen während der Insolvenz dürfen Abfindungen gezahlt werden. Diese könnten allerdings, wenn sie im Rahmen eines Sozialplans verhandelt werden, im Gesamtvolumen auf zweieinhalb Monatsgehälter der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt werden, wie Riedels Kollegin Lisa Brix sagt. Zudem sei der Insolvenzverwalter vor allem den Gläubigern des insolventen Unternehmens gegenüber verpflichtet, weshalb in aller Regel die Abfindungen deutlich niedriger liegen als außerhalb des Insolvenzverfahrens. Lisa Brix (Foto: Advant Beiten) Wichtig zu wissen ist dabei auch, dass nur Abfindungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart werden, nicht Teil der Insolvenzmasse sind. Das heißt: Sie werden bezahlt, bevor das verbleibende Geld unter den Gläubigern aufgeteilt wird. Das gleiche gilt im Übrigen auch für Gehälter: Der noch geschuldete Lohn aus der Zeit vor der Insolvenz gehört zur Insolvenzmasse, später entstandene Ansprüche müssen zuerst bezahlt werden. Was passiert, wenn das Insolvenzverfahren scheitert und das Unternehmen liquidiert wird? „Durch die Liquidation eines Unternehmens nach einem Insolvenzverfahren werden bestehende Arbeitsverhältnisse nicht ohne Weiteres beendet“, sagt Lisa Brix. Sie blieben bestehen, bis sie ordnungsgemäß gekündigt werden. In der Praxis würde der Insolvenzverwalter dafür sorgen, dass dies geschieht. Dabei profitiert er von der bereits erwähnten Verkürzung der Kündigungsfrist auf maximal drei Monate. Und Probleme, den Stellenabbau zu begründen, dürfte er nicht bekommen, sagt Juristin Brix. „Einen stärkeren betriebsbedingten Kündigungsgrund als die Liquidation gibt es kaum.“ Alles zum Thema Stellenabbau Der Abbau von Arbeitsplätzen gehört zu den schwierigsten Aufgaben im Personalwesen. Wie können Unternehmen diesen Prozess fair und transparent gestalten, ohne die Motivation der verbleibenden Mitarbeiter zu gefährden? Erfahren Sie in unseren Beiträgen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten sind und welche Strategien helfen, den Übergang für alle Beteiligten möglichst reibungslos zu gestalten. Mehr lesen Info Dieser Artikel ist Teil der Titelstrecke unseres November-Magazins. Das E-Paper ist heute für Abonnenten und Abonnentinnen erschienen. Bei unserer Schwesterpublikation Deutscher Anwaltsspiegel schreiben Lisa Brix und Michael Riedel ebenfalls über die „Grundzüge des Insolvenzarbeitsrechts“.

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