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Der Interim-Management-Markt boomt – auch im HR-Bereich

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Sie kommen, um nach getaner Arbeit zu gehen. Erkannten im Interim Management zunächst erfahrene Sanierer ihre Paradedisziplin, heuern Unternehmen nunmehr spezialisierte Führungskräfte an, die Fertigungsanlagen im Ausland errichten, IT-Infrastrukturen auf andere Plattformen migrieren oder neue HR-Strategien austüfteln und gleich in praktische Maßnahmen umsetzen. Beherrschten einst höhere Semester die Szene, setzen heute erstaunlich viele 30- bis 40-Jährige dem Interim Management ihren Stempel auf – und verrichten höchstqualifizierte Zeitarbeit in Reinkultur.

Auf selbstständige, führungserfahrene Expertinnen und Experten trifft heute eine steigende Nachfrage. Vor allem im breiten Mittelstand, dem Triebwerk der deutschen Wirtschaft, brennt es lichterloh. Konnten sich die Betriebe in der Pandemie dank staatlicher Hilfen noch einigermaßen über Wasser halten, kämpfen sie nun mit unerwartet anziehenden Energiepreisen, fehlenden Rohstoffen und stockenden Lieferketten. Als wäre dies nicht schlimm genug, sind vom Handwerksbetrieb bis zum international aufgestellten Hidden Champion nahezu alle mittelständischen Firmen mit einem grassierenden Fach– und Führungskräftemangel konfrontiert. Jede Hilfe von außen kommt deshalb wie gerufen.

Turnaround-Anforderungen nehmen zu

Christine Feuerstein (Foto: Studio Loske Fotografie Medienlabor Paul-Gerhard Loske)
Christine Feuerstein (Foto: Studio Loske Fotografie Medienlabor/Paul-Gerhard Loske)

Selten stand die Tür so weit offen für Interim Managerinnen und Manager. Doch die starke Nachfrage gebiert auch ein Manko: „Fast die Hälfte aller Interim Manager sind nicht verfügbar“, sagt Christine Feuerstein mit Blick auf deren Auslastung. Sie leitet den Standort München der Ludwig Heuse GmbH, die ihrerseits regelmäßig Umfragen zur Marktentwicklung des Interim Managements beisteuert. Konkret schleppen sich Unternehmen von einem Change-Projekt zum nächsten und müssen zahlreiche Transformationen bewältigen wie etwa in der Digitalisierung oder dem Lieferketten-Management.

„Turnaround-Anforderungen nehmen im Rahmen kritischer Unternehmensprozesse zu“, erklärt Feuerstein, warum sich immer mehr Betriebe hilfesuchend an die externen Experten wenden.

Das beobachten auch die einschlägigen Verbände, die Dachgesellschaft Deutsches Interim Management (DDIM) und der Arbeitskreis Interim Management Provider (AIMP). Während der Markt im laufenden Jahr nach Einschätzung des stellvertretenden AIMP-Vorsitzenden, Martin Mayr, „das Niveau vor der Coronakrise“ erreiche und nun häufig aufgeschobene Projekte angepackt würden, erkennt die DDIM-Vorstandsvorsitzende, Marei Strack, einen besonderen Bedarf an Expertise in General Management, Finance und HR.

Ursachen des HR-Bedeutungszuwachses

Marei Strack (Foto: DDIM)
Marei Strack (Foto: DDIM)

Folgt man den Verbänden, haben personalwirtschaftliche Belange als Auslöser für Interim Management zuletzt spürbar an Bedeutung gewonnen. Dazu hat der DDIM Interim Manager und Provider befragt. Ergebnis: Halten Interim Manager HR für den zweitwichtigsten Themenkomplex nach General Management, sehen Provider HR zusammen mit Finance sogar auf Rang eins. Strack: „HR ist endgültig im strategiegestaltenden Umfeld angekommen.“

Mayr, Geschäftsführer des Interim-Management-Providers Go Interim in Salzburg, führt diesen Bedeutungszuwachs auf mehrere Ursachen zurück. Während viele Unternehmen demnach zu Abbaumaßnahmen greifen, indem sie beispielsweise Arbeitsverträge nachverhandeln, wollen andere sich organisatorisch neu aufstellen. Doch dafür benötigen sie die passenden Fach- und Führungskräfte, „deshalb sind Interim Manager auch im Recruiting sowie im strategischen HR-Management gefragt.“

Doch auch im HR-Tagesgeschäft geht nichts mehr ohne kundige Lotsen voran, etwa bei der Digitalisierung. „IT-Kompetenz ist häufig nur sehr rudimentär ausgeprägt“, erklärt DDIM-Chefin Strack, „wenn etwa das Bewerbermanagement immer noch über E-Mail abgewickelt wird“. Auch bei der Personalabrechnung müssten Interim Manager ihren Kunden auf die Sprünge helfen. Katharina Krebs beispielsweise ist seit vielen Jahren als Interim Managerin im Geschäft. „Jede Woche bekomme ich fünf Anfragen“, bestätigt die ehemalige Personalleiterin und Personalentwicklungsexpertin, wie sehr HR-Expertise im Markt nachgefragt wird.

Martin Mayr (Foto: Go Interim)
Martin Mayr (Foto: Go Interim)

Recruiting ist oft der Auslöser

Weshalb konkret wenden sich Firmen an eine erfahrene HR-Führungspersönlichkeit? Wie Krebs beobachtet, ist oft das Recruiting der Auslöser. Personal zu beschaffen sei längst eine Aufgabe, für die „Experten statt Sachbearbeiter“ benötigt würden. Ferner seien Interim Manager in der Rolle des HR Business Partners erwünscht. Sie sollen überlagernde Aufgaben wahrnehmen, also etwa notwendige Veränderungen begleiten sowie Teamarbeit und Führung verbessern.

Womit Krebs eine weitere Aufgabe für Interim Manager konkretisiert – nämlich Führungskräfte angesichts der wachsenden Zahl freiwilliger Kündigungen anzuleiten, mehr in die Mitarbeiterbindung zu investieren. „Das ist jedoch unter Remote-Bedingungen ziemlich kompliziert.“ Hybride Teams führen, das überfordere viele Führungskräfte. Apropos remote: Virtuell werde Krebs zufolge nicht nur das Vertragliche mit Interim Managern eingefädelt. Auch der Job liefe inzwischen überwiegend remote – was Auftraggebern vor Corona „nie in den Sinn gekommen“ wäre.

Wer heuert Interim Manager an?

Katharina Krebs (Foto: privat)
Katharina Krebs (Foto: privat)

Und wer lotst letztlich die externen Spezialisten an Bord – die Personalabteilung etwa? Die Einschätzung von Thomas Schulz, Geschäftsführer des Providers Rau Interim: „Dass sich HR grundsätzlich für Interim Management verwenden würde, sehe ich nicht. HR ist weder Treiber noch zentraler Akteur.“ Für Schulz, einen langjährigen Personalchef von Unternehmen der Lebensmittelbranche, liegt nahe, dass Vorstände oder Geschäftsführer bei Restrukturierungsthemen „allein der Kosten wegen“ die Mandatierung von Interim Managern in die Hand nähmen, während HR bei Rekrutierungsbedarf Interim Manager anheuern sollte.

Ein Aspekt bei der Betrachtung des Beschaffungsprozesses ist die Rolle des Einkaufs. Sollten HR und Einkauf bei der Mandatierung von Interim Managern Seite an Seite agieren? Schulz sieht das anders. Der „probate Weg“ sei doch eher, dass HR den Markt sondiere, eine Vorauswahl treffe und den Prozess an den Einkauf weiterleite, um in Preisverhandlungen mit einem Interim Manager oder einem Provider einzutreten. Freilich sind die Meinungen geteilt; Frithjof Reitter etwa, lange selbst als HR-Interim-Manager tätig und nun ein auf HR spezialisierter Provider, hält es für ein bewährtes Verfahren, dass sich Einkauf und HR eng abstimmen. Denn wer Interim Manager beauftrage, benötige sofort eine überzeugende Lösung. „Darauf zu bestehen, den niedrigsten Preis zu erzielen, ist deshalb fehl am Platz.“

Verdacht auf Scheinselbstständigkeit entkräften

Dafür herrscht Einmütigkeit in der rechtlichen Einordnung des Interim Managements. Lange befürchteten die Protagonisten nämlich, den Verdacht der Scheinselbstständigkeit nicht hinreichend entkräften zu können. Unter der Ägide von Andrea Nahles hatte das Bundesarbeitsministerium 2016 beabsichtigt, sämtliche freiberuflich agierenden Marktteilnehmer unter Generalverdacht zu stellen. Ähnlich wie selbstständige IT-Experten gerieten auch Interim Manager plötzlich unter Rechtfertigungszwang. Alle Beteiligten, Kunden wie Provider und Interim Manager, verunsicherte das zutiefst.

Thomas Schulz (Foto: Rau Interim)
Thomas Schulz (Foto: Rau Interim)

Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, auch wenn es nach wie vor keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Während die Verbände DDIM und AIMP juristisch wasserdichte Verträge bereithalten, um von vornherein jeglichen Verdacht der Scheinselbstständigkeit auszuräumen, haben sich zahlreiche Provider vorsorglich behördliche Genehmigungen beschafft, um Interim Manager nicht wie üblich per Dienstvertrag, sondern im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an den Kunden zu verweisen.

Für Schulz ist so etwas durchaus sinnvoll. Denn zur reinen Vakanzüberbrückung und sofern keinerlei Projektcharakter gegeben sei, biete sich die Arbeitnehmerüberlassung immerhin als „rechtssicherste Lösung“ für Führungskräfte an. Reitter liefert ein weiteren Tipp zur Absicherung: Danach schalten Auftraggeber nämlich eigens Provider ein. Denn eine Rechnung vom Provider schaffe ein Stück Rechtssicherheit. Nach all den unruhigen Jahren sind das jedoch lediglich Randnotizen. Reitter: „Tatsächlich konnte noch keinem Interim Manager Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden.“

Qualität des Interim Managements

Frithjof Reitter (Foto: privat)
Frithjof Reitter (Foto: privat)

Wenn es rechtlich kaum noch brenzlig scheint, Interim Manager um Unterstützung zu bitten, bleibt die Frage, wie man sich als Auftraggeber vor mangelhaft qualifizierten Kandidaten verwahren kann. Schließlich ist die Berufsbezeichnung des Managers auf Zeit nicht geschützt. Um die Qualität zu sichern, spricht HR-Provider Reitter mit allen Kandidaten und Kandidatinnen eingehend über fachliche Dinge, etwa über Betriebsratsthemen im Detail, und führt das Gespräch streckenweise auf Englisch. Bei Eignung gibt es ein internes Zertifikat, ohne das niemand vermittelt würde. „Auf Wunsch können Auftraggeber einschlägige Referenzen einsehen.“

Größere Provider hingegen, die Experten auf Zeit für alle Unternehmensbereiche vermitteln wie Ludwig Heuse, legen Wert auf ein professionelles Bewerber- und Poolmanagement. Unter hohen Qualitätsstandards werde laut Feuerstein darauf geachtet, dass die Kompetenzen und Zusatzqualifikationen der einzelnen Akteure „immer up-to-date sind“. Letztlich hängt das Renommee von Interim Managern und deren Vermittlern vom Ausgang des jeweiligen Projekts ab. Dass es erfolgreich beendet werden kann, meint zumindest Provider Schulz, sei weniger der fachlichen Kompetenz der Experten geschuldet, sondern ihrer Persönlichkeit und Anschlussfähigkeit. „Für HR-Interim-Manager gilt das umso mehr“, betont er. „Schließlich muss er oder sie die Leute besser mitnehmen können als ein Werksleiter oder Finanzer.“

Selbstständige Personalleiter als Alternative?

Olaf Gärtner (Foto: BVSP)
Olaf Gärtner (Foto: BVSP)

Womöglich eine Steilvorlage für den Bundesverband der Selbstständigen Personalleiter (BVSP), um sich als Alternative zum HR-Interim-Management zu profilieren. Immerhin bittet der Verband seine 50- bis 70jährigen HR-Expertinnen und -Experten dreimal im Jahr zur internen Fortbildung. Als selbstständige Unternehmer mit operativer HR-Führungserfahrung müssten sie laut Vorstandschef Olaf Gärtner „auch mal Risiken eingehen“, wofür sie sich mit Vermögensschadens- und Betriebshaftversicherungen absicherten – was übrigens auch jeglichen Verdacht der Scheinselbstständigkeit aus dem Weg räumt. Gerade jüngeren Interim Managern, die zwar in Fragen der Digitalisierung oder des Recruitings versiert seien, mangele es an „Erfahrung im generalistischen HR-Zusammenhang und Überblick“, konkretisiert Gärtner einen weiteren Aspekt, mit dem sich die HR-Experten von ihrer Konkurrenz im Interim-Management unterscheiden wollen.

Bei genauerem Hinsehen drohen die Profilierungsansätze jedoch an Wirkung einzubüßen. Einige Verbandsmitglieder bieten sich auf ihren Websites nach dem Bauchladenprinzip an: Interim Management – na klar. Unternehmensberatung – sowieso. Grund: Viele selbstständige Personalleiter sind auch Mitglied im DDIM, im Bundesverband mittelständische Wirtschaft oder im Bundesverband der KMU-Berater, Fachgruppe Personal. Der Kunde will wissen, woran er ist. Hier müsste der BVSP noch nachbessern. 

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