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Jobwechsel: Viele Mitarbeitende sind zu bequem für den Absprung

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Viele Mitarbeitende sind offenbar mit ihrer aktuellen Stelle unzufrieden. Das hat eine Studie des HR-Softwareanbieters Personio ermittelt. Demnach erwägen 42 Prozent aller Arbeitnehmenden in kleinen und mittelständischen Unternehmen, ihren aktuellen Arbeitsplatz zu verlassen, sobald sich die wirtschaftliche Lage verbessert.

Bereits jetzt beabsichtigt laut dem „HR Insights Report 2024“ von Personio knapp die Hälfte der Arbeitnehmenden (46 Prozent), sich innerhalb des nächsten Jahres nach einem neuen Job umzusehen – unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Angesichts dieser Entwicklung sind viele Unternehmen besorgt über eine bevorstehende Kündigungswelle: Fast die Hälfte (49 Prozent) der Arbeitgeber geht davon aus, dass die Mitarbeiterfluktuation in den kommenden zwölf Monaten zunehmen wird.

Schwarzmalerei oder echter Trend?

Neben der Personio-Studie zeichnete im März dieses Jahres bereits der Gallup Engagement Index ein ähnlich düsteres Bild: Nur 14 Prozent der dort Befragten gaben an, eine hohe Bindung zum eigenen Arbeitgeber zu haben. 19 Prozent erklärten dagegen, gar keine Bindung zum Unternehmen zu haben. Der negative Trend der letzten Jahre setze sich damit fort, so die Studienmacher. Denn seit 2012 sei kein höheres Ergebnis an Menschen, die keine Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben, festgehalten worden.

Auch zur Wechselbereitschaft vermeldete Gallup wenig Verheißungsvolles. Seit 2018 habe sich die Anzahl der Befragten, die beabsichtigen, in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma tätig zu sein, von 78 Prozent auf 53 Prozent verringert. Und auch die Entwicklung der mittelfristigen Wechselbereitschaft ist für die Unternehmen kein Grund zur Freude. 2018 lag der Wert noch bei 65 Prozent. Im Jahr 2023 geben nur noch 40 Prozent an, auch in drei Jahren noch bei ihrem jetzigen Arbeitgeber arbeiten zu wollen.

Viel Lärm um nichts?

Doch wenn die Unzufriedenheit mit dem bisherigen Job so groß ist, warum entscheiden sich am Ende doch die Wenigsten dazu, wirklich neu anzufangen? Zumindest in der HR-Profession ist es mit der Entschlossenheit der Mitarbeitenden nicht allzu weit her, glaubt Florian Wagner von der Personalberatung Hays. Beileibe nicht jeder Kandidat und jede Kandidatin wage den entscheidenden Schritt. „Die theoretische Wechselbereitschaft ist weiter hoch“, sagte Wagner kürzlich gegenüber der Personalwirtschaft. Viele seien bereit, sich Angebote anzuhören. „Aber dann wirklich zu wechseln und die ersten sechs Monate keinen Kündigungsschutz zu haben: Diesen letzten Schritt wollen viele nicht gehen.“

Auch ein Blick auf die Beschäftigungsdauer zeigt, dass die meisten Angestellten – unabhängig davon, ob sie mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind – ihrem Arbeitgeber eher lange treu bleiben. So waren laut Statistischem Bundesamt 2023 rund 42 Prozent aller Erwerbstätigen seit mindestens zehn Jahren bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. 20 Prozent arbeiteten seit fünf bis zehn Jahren am gleichen Arbeitsplatz, eine Beschäftigungsdauer von weniger als fünf Jahren gaben mehr als ein Drittel (38,3 Prozent) an.

Die Diskrepanz zwischen Wechselwillen und tatsächlichem Wechsel zeichnet sich auch in den Zahlen des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) ab. Obwohl sich die deutsche Wirtschaft schwach entwickele, lag die Fachkräftelücke laut IW mit knapp 470.000 offenen Stellen immer noch hoch. Die Stellenbesetzung blieb ebenfalls angespannt: Rund vier von zehn offenen Stellen konnten im März 2024 rechnerisch nicht besetzt werden, heißt es seitens des Institutes.

Wechselbereitschaft bleibt konstant

Auch ein genauerer Blick auf die tatsächliche Zahl der Jobwechsler offenbart, dass es in den vergangenen Jahren in diesem Bereich wenig Bewegung gegeben hat. Demnach wechseln in Deutschland laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) jedes Jahr etwa acht bis zehn Prozent der Beschäftigten ihre Stelle. Die Wechselquote variiert je nach Wirtschaftslage und Branchen, wobei insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie während der COVID-19-Pandemie weniger Stellenwechsel zu verzeichnen waren.

Zwar ist laut IAB ein leichter Trend zu beobachten, dass mehr Menschen ihre Arbeitsstelle wechseln. Dies werde unter anderem durch den Fachkräftemangel und den Trend zu mehr Flexibilität im Arbeitsleben beeinflusst. Zudem spielen auch die persönlichen Erwartungen der Beschäftigten an ihre berufliche Entwicklung eine Rolle, was zu einer höheren Bereitschaft zum Jobwechsel führe. Dennoch steht dieser Trend in keinem Verhältnis zu den beunruhigenden Zahlen von Personio und Gallup.

Unzufriedenheit hat sich nicht signifikant geändert

Glaubt man HR-Praktikern wie beispielsweise Daniel Mühlbauer, ist die Lage wohl wirklich nicht so dramatisch, wie die Zahlen der Studien zunächst glauben machen. Mühlbauer schreibt in einem Linkedin-Post: „Wenn man das Ganze historisch einordnet, beruhigt sich der Puls vieler HR Professionals vielleicht wieder. Der Anteil der ‚actively disengaged‘ ist in Deutschland seit 2001 kaum verändert. Er war 2012 mit über 20 Prozent sogar höher als jetzt. Und wer erinnert sich nicht an das Horrorjahr 2012, wo quasi alle Menschen links und rechts gekündigt haben…NOT.“ Sein Rat an die Personalerinnen und Personaler: „Durchatmen! 19 Prozent Disengaged bei Gallup ist absoluter Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Kein Grund zur Beunruhigung.“

Jakob Schulz, Sales Manager bei karriere.at, pflichtet Mühlbauer bei: „Die Studie für sich betrachtet, im Zeitverlauf, ist ein schöner Indikator. Aber das Bohei mit ,höchste Werte seit 2012´ ist mir zu reißerisch […]. Insbesondere, wenn es dann hier auf Linkedin wieder überdramatisiert wird.“

Unternehmen müssen trotzdem handeln

Theoretische Wechselbereitschaft und tatsächliche Kündigung hin oder her – Tatsache ist, dass sich die Unternehmen mit der oft miesen Stimmung ihrer Belegschaft auseinandersetzen müssen. Auch wenn die unzufriedenen Angestellten ihrem bisherigen Unternehmen mangels Mutes treu bleiben, besteht trotzdem die Gefahr, dass ihre Leistung sinkt und damit auch der wirtschaftliche Erfolg ihres Arbeitgebers. Lenke Taylor, Chief People Officer bei Personio, kommentiert: „Unternehmen müssen erkennen, dass sich die Prioritäten der Mitarbeitenden geändert haben und sich dies auf ihre Einstellung zur Arbeit auswirkt“, so Taylor.

„Die besten Arbeitgebenden hören zu, was sich für ihre Talente verändert, und leiten sinnvolle Schritte ein, um das Mitarbeiterengagement zu fördern. Das können Veränderungen der Arbeitsplatzrichtlinien, ganzheitliche Benefits-Pakete oder Programme zur Karriere- und Kompetenzentwicklung sein. Unternehmen, die gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden an diesen Punkten arbeiten, werden einen entscheidenden Vorteil darin haben, mit dem Wandel der sich verändernden Bedürfnisse am Arbeitsplatz Schritt zu halten”, bekräftigt die CPO.

Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.