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So erschöpft sind Deutschlands Führungskräfte

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Zwei von drei Führungskräften sind erschöpft. Eine Zahl, die alarmierend ist und auch infrage stellt, wie lange besagte Chefinnen und Chefs noch die nötige Transformation in Unternehmen und deren wirtschaftlichen Erfolg vorantreiben können. Gleichzeitig impliziert die hohe Erschöpfungsquote: Es muss sich etwas an der Art der Führung oder den Rahmenbedingungen für Leadership ändern.

Das zumindest ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Beratungsagentur Auctority und des Marktforschungsinstituts Civey. Die Untersuchung liegt dem Spiegel exklusiv vor. Seine Autoren plädieren basierend auf den Ergebnissen dafür, geteilte Führung zum Standard werden zu lassen. „Eine naheliegende, aber viel zu selten ins Auge gefasste Lösung ist es, die Führungsverantwortung auf mehreren Schultern zu verteilen“, sagt Randolf Jessl, Auctority-Geschäftsführer und Mitautor der Studie. Welche Zahlen genau lassen ihn zu dieser Schlussfolgerung kommen?

Gemeinsam mit dem Team von Civey hat er im Dezember 2023 rund 1000 Führungskräfte zu ihren Kraftreserven befragt. 61,6 Prozent gaben an, erschöpft zu sein. 30,3 Prozent bezeichneten ihren Zustand als weniger erschöpft und 8,1 Prozent waren unentschieden. Besonders müde ist dabei die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen. 72 Prozent von ihnen sind erschöpft. Weibliche Führungskräfte fühlen sich tendenziell ausgelaugter als männliche (65 Prozent gegenüber 60 Prozent).

Gründe für die Erschöpfung

Woran liegt das? Ende des Jahres hatte die Personalwirtschaft dazu Personalchefinnen und Führungsexperten befragt. Laut Sarena Lin, der ehemaligen Bayer-Personalvorständin und heute Aufsichtsrätin von Siemens Healthineers, liegt dies daran, dass die Anforderungen an Führungskräfte innerhalb der vergangenen Jahre gestiegen sind. Sie sollten Weiterentwickler, Coach und Fürsorgeperson in einem sein. Gleichzeitig hätten die äußeren Disruptionen zugenommen und erforderten zum einen schnelle und vor allem auch ständig neue Entscheidungen, aber auch den Umgang mit immer wieder neuen Krisen und damit verbundenen Unsicherheiten.

Lins multidimensionale Lösung, wie Führungskräfte inmitten dieses Trubels weiterhin wirken können, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen: eine konsequente Priorisierung, die Unterstützung des Teams einzufordern und die Fähigkeit, immer nur dort mitzuwirken, wo es aktuell am dringendsten gebraucht wird.

Geteilte Führung und andere Lösungen

Die Empfehlung des Auctority-Teams scheint hier gut hineinzupassen. Zumindest, was das Anfordern von Hilfe und die Umverteilung der Anforderungen angeht. Um Führungsaufgaben aufzuteilen, gibt es mehrere Möglichkeiten, die mal mehr und mal weniger gut bei den Befragten ankommen. Chefs oder Chefinnen können einen Teil ihrer Führungsaufgaben an das Team übertragen. Das können sich mehr als 50 Prozent der Führungskräfte gut vorstellen. Eine weitere Option ist es, Co-Leadership einzuführen, was bei knapp 49 Prozent auf Anklang trifft. Selbstorganisierte Teams zu haben, sehen dahingegen nur gut 22 Prozent als eine geeignete Lösung an. Interessant ist hierbei: Gerade junge Führungskräfte (U30-Jährige) halten nicht viel von Shared Leadership, sind dafür aber eher von selbstorganisierten Teams oder der Übertragung von Führungsaufgaben überzeugt.

Der Führungs- und Gesundheitsexperte Benjamin Rolff betonte auf Nachfrage im Herbst 2023 noch ein weiteres Tool, um als Führungskraft nicht in die Überforderung und Erschöpfung zu rutschen: innere Stabilität. Chefs und Chefinnen sollten mit ihrem Team gemeinsame Werte und ein Zielbild erschaffen, an dem sich alle orientieren können. Zudem sollte sich jeder Leader fragen: Wer möchte ich als Führungskraft sein und was sind kraftraubende Tätigkeiten, die ich an mein Team abgeben kann? Dies dient in gewisser Weise der Priorisierung und Fokussierung und vermindere Stress und das Gefühl von Unsicherheit sowie Kontrolllosigkeit. Das treffe auch für vertrauensvolle Beziehungen auf der Arbeit zu. Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen sei ein essenzieller Stresssenker.

Mitarbeitende sind noch erschöpfter

So viel zu den Führungskräften. Doch wie steht es um die Beschäftigten? Sind sie genauso erschöpft wie ihre Chefinnen und Chefs? Laut einer Befragung des Pinktum Instituts aus dem Herbst 2023 haben Mitarbeitende sogar noch weniger Energie als Führungskräfte. Insgesamt gaben rund zwei Drittel der Befragten an, noch ausreichend Kraft für ihre Tätigkeit zu haben. Im Umkehrschluss ist damit etwa ein Drittel ausgelaugt. Während 77 Prozent der Führungskräfte sagen, sie haben noch ausreichend Kraft für ihre Arbeitsaufgaben, sind es bei den Beschäftigten nur 62 Prozent. Unter denjenigen, die sich erschöpft fühlen, befinden sich auffällig viele jüngere Mitarbeitende. Dass Erschöpfung damit nicht nur ein Leadership Problem ist, scheint wahrscheinlich. Für Unternehmen wird es zukünftig wohl mehr darum gehen, dieser Müdigkeit gezielt entgegenzuwirken – egal auf welchem Hierarchielevel.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.