Frage an die HR-Werkstatt: Wie gelingt HR der Schritt vom Verwalter zum Gestalter auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung?
Es antwortet: Dr. Michael Egger, selbstständiger Berater, HR Consultant
HR-Arbeit bedeutet in Zeiten eines Arbeitnehmermarkts vor allem Druck, um möglichst noch heute die passenden Mitarbeitenden von morgen zu finden, zu gewinnen und letztlich zu binden. Um dies bestmöglich zu bewerkstelligen, brauchen Personalerinnen und Personaler Handlungs- und Gestaltungsfreiraum. In vielen Unternehmen haben sie diesen nicht. Dort gelten noch die Personalstruktur und Prozesse aus Zeiten, als noch postalisch sogenannte Bewerbungsmappen einlangten. Die dort ansässigen Personalerinnen und Personaler müssen zuschauen, wie sich ihr Arbeitgeber damit nachhaltig personelle Chancen für die Zukunft verbaut. Gleichzeitig blicken sie auf ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Unternehmen, die mit der Zeit gehen und den Weg vom Verwalten von Personal hin zum Gestalten von Arbeitsumfeldern für Menschen geschafft haben. Wie ist ihnen das gelungen?
Den Ernst der Lage klarmachen
Da die Geschäftsführung HR nicht als Entscheider und Gestalter sieht, nimmt sie diese Rolle ein und hinterfragt alles, womit HR ankommt. Dabei fehlt oftmals ein Vertrauen in die Kompetenz von HR-Verantwortlichen. Problematisch wird es auch, wenn die oberste Unternehmensführung kein Verständnis für Veränderung hat oder dem Mikromanagement verfallen ist. Das ist ein Problem: Denn ohne eine Offenheit und Vertrauen vonseiten der Geschäftsführung kann HR nicht die Rolle des Gestalters annehmen.
Um sich das Vertrauen zu erarbeiten, müssen sich Personalerinnen und Personaler zunächst weiterhin rechtfertigen, wenn es darum geht, irgendetwas Neues auszuprobieren – sei es im Recruiting, der internen Kommunikation oder für die Anschaffungskosten eines neuen digitalen Tools. Dafür muss HR Fakten sammeln, aus diesen rationale Argumente ziehen und in der Sprache der obersten Führungsebene der Geschäftsführung präsentieren. Dabei lohnt es sich, der Geschäftsleitung den Ernst der Lage klarzumachen. HR kann mit der eingehenden Bewerberanzahl, der Reputation, Arbeitgeberbewertungen von Mitarbeitenden und ähnlichem klar aufzeigen, was passieren wird, wenn so weitergemacht werden würde wie bisher. Nämlich, dass Unternehmen schlichtweg auch demografisch bedingt mit der Zeit aussterben.
Sollte dies HR immer noch nicht den nötigen Respekt einholen, kann ein externer Berater oder eine Beraterin unterstützen und beispielsweise neutral und branchenspezifisch der HR-Leitung den Rücken stärken.
Sich der eigenen Rolle und den vorhandenen Ressourcen bewusst werden
Die neue Rolle als Gestalter muss HR zunächst definieren und für sich klarstellen, was nötig ist, um diese neue Funktion komplett anzunehmen. Dafür sollte HR in erster Linie für sich selbst folgende Fragen beantworten können:
- Wen brauche ich zum Gestalten wirklich?
- Welche internen und externen Ressourcen sind notwendig?
- Was passiert, wenn alles so bleibt, wie es ist und ich nichts gestalten kann?
- Wie gehe ich damit um, wenn die Geschäftsführung oder Leitungen von Fachabteilungen dezidiert nicht mitgestalten wollen?
- Wie viel Energie bin ich bereit, in meine neue Rolle als Gestalter und die Transformation dorthin zu stecken?
- Welche neuen Denkweisen kann ich selbst annehmen und etablieren?
Denn nur wer weiß, wer er ist, was er kann und wo er hin möchte, kann andere davon überzeugen, ihn als klaren, selbstbewussten und vertrauenswürdigen Gegenüber wahrzunehmen. Auch kann HR selbst so die Wandlung zum Gestalter besser gelingen, ohne in Stolperfallen zu treten.
Verbündete gewinnen
Wer gestalten und dabei den Menschen ins Zentrum setzen möchte, braucht Verbündete. Der engagierteste HR-Mitarbeitende oder die umsetzungsstärkste HR-Leitung wird ohne Unterstützung nichts bewirken und rasch an bestehenden Systemen scheitern. Diese Umstände haben aktiv Gestaltende erkannt und schaffen es, mit Empathie und Weitsicht Verbündete im Unternehmen für ihre Vorhaben zu gewinnen. Beispielweise können dies Führungskräfte aus anderen Abteilungen sein, aber ebenso junge Kollegen und Kolleginnen, die gerne Neues ausprobieren, etwa Social Media affin sind und sich gerne für ein HR-Thema wie Employer Branding abteilungsübergreifend einbringen wollen.
Unterstützer bleiben allerdings nur an der Seite von HR, wenn Personalerinnen und Personaler klar Stellung beziehen, und auch einmal den Mut haben, der Geschäftsführungsebene gegenüber „Nein“ zu sagen, wenn man beispielweise so weitermachen will wie bisher und davon auszugehen ist, dass sich deshalb nichts ändert. Die Mitgestalter und -gestalterinnen finden sich häufig in den Fachabteilungen, die dringend neues Personal brauchen. Sie agieren oftmals bei internen Themen wie New Work siloübergreifend als Markenbotschafter und Markenbotschafterinnen und sind gute Role-Models für teils notwendige Veränderungen.
Auch außerhalb des Unternehmens kann HR Verbündete finden – in Form von externen Kolleginnen und Kollegen, die eine Transformation in der Art und Weise, wie man sie plant, bereits durchgeführt haben. Diese Expertinnen und Experten können HR neuste Trends zu Themen wie Employer Branding, Active Sourcing oder Reverse Recruiting näherbringen. Sie können Personalerinnen und Personalern dadurch Fachexpertise vermitteln, mit der man sich das Vertrauen der Geschäftsführung erarbeiten und neue Projekte erfolgreich gestalten kann.
An die Spielregeln halten, um sie dann zu ändern
Wer Strukturen verändern und sich ein neues Standing im Unternehmen erarbeiten will, kann oftmals nicht rebellisch alles einfach einbrechen, sondern muss sich an ein paar unternehmensinterne Spielregeln halten. Jedes Unternehmen ist mit seinen Kulturen, Organisationsstrukturen und Führungsmethoden einzigartig. All diese Rahmenbedingungen gilt es zu berücksichtigen, wenn es darum geht, als Personalerin und Personaler zu gestalten. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens muss HR zunächst faktisch überzeugen und dann mithilfe eines abteilungsübergreifenden Teams Schritt für Schritt einzelne Prozesse, Ansichten und kulturelle Aspekte verändern.
Ob dies gelingt, hängt allerdings auch davon ab, inwieweit die Geschäftsführung HR als Gestalter erkennt. Und dafür müssen Personalerinnen und Personaler zunächst sichtbar werden, ohne dabei von der Geschäftsführung beim ersten rebellischen Akt wieder auf ihre alte Position als Verwalter verwiesen zu werden. Geduld ist folglich gefragt, genauso wie sensibles Vorgehen und Durchhaltevermögen. Denn eine Rolle lässt sich meist nicht von heute auf morgen ändern.
Autor
Dr. Michael Egger ist seit 2016 selbstständiger Berater für Kommunikation, Employer Branding und HR-Agenden. Er begleitet Unternehmen dabei, eine Arbeitgebermarken-Fitness auf allen Ebenen von der Unternehmenskultur über die interne und externe Kommunikation bis zur Personalgewinnung – und bindung zu erlangen. Er sammelte bereits Erfahrungen als HR Business Partner, HR Manager und Dozent und ist zudem Redner. Mehr Informationen unter https://www.erfolgszeiten.at.