Ein knappes Drittel der Wählerinnen und Wähler gaben am vergangenen Sonntag ihre Stimme der AfD. Mit dem Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist damit erstmals in der Bundesrepublik eine als rechtsextrem eingestufte Partei die stärkste (Thüringen) beziehungsweise zweitstärkste Gruppierung (Sachsen) im Landtag. Große Arbeitgeber der beiden Bundesländer melden sich bislang jedoch recht zurückhaltend nach dem Wahlergebnis oder bleiben komplett stumm.
„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns generell nicht zu Wahlausgängen äußern“, antwortete die Mehrheit besagter Unternehmen in Sachsen und Thüringen auf eine Anfrage der Personalwirtschaft – darunter aber auch städtische Einrichtungen, die generell einer Neutralitätspflicht unterliegen. Diejenigen, die sich äußern, positionieren sich meist nicht gegen die AfD, aber für demokratische, weltoffene Werte. Andere setzen auf Bildungsinitiativen, um extremes Gedankengut in der Belegschaft zu verhindern.
Klare Worte finden
So heißt es vom Technologiekonzern Carl Zeiss, der im thüringischen Jena gegründet wurde, mittlerweile seinen Hauptsitz aber in Oberkochen in Baden-Württemberg hat: „Unsere gesellschaftspolitische Position ist eindeutig und unverändert. Wir sind global ausgerichtet, fördern eine Unternehmenskultur der Vielfalt, des Respektes und der Weltoffenheit.“ Und weiter: „Ressentiments gegenüber Menschen, aufgrund ihrer Herkunft, Lebensweise oder Kultur, haben bei uns keinen Raum und entsprechen nicht den Werten, die bei Zeiss gelebt werden. Extremismus, ob von rechts oder links, ob aus politischen oder religiösen Gründen, steht diesen Werten und einer positiven Zukunft entgegen.“
Doch über Werte zu sprechen, heißt noch nicht, dass sie auch im Unternehmen gelebt werden. Deshalb setzt die Carl Zeiss AG laut einer Unternehmenssprecherin auf klare Regeln für den Umgang miteinander und eine Sensibilisierung von Führungskräften, HR und der Kommunikationsabteilung. „Auf unseren eigenen externen und internen Kanälen gibt es für parteipolitische Diskussionen und Herabwürdigungen von Kolleginnen und Kollegen keinen Platz“, sagt die Unternehmenssprecherin. „Wir achten sehr genau darauf, dass sich alle Mitarbeitenden bei Zeiss wertgeschätzt und sicher fühlen.“ Nach außen hin tritt Zeiss für besagte Werte ein, indem sich der Konzern an der Initiative „Weltoffenes Thüringen“ und die Kampagne „#Zusammenland – Vielfalt macht uns stark!“ beteiligt.
Einen ähnlichen Ansatz hat auch die Technische Universität Dresden gewählt. Sie hatte im Mai die Veranstaltung „Gemeinsam für Demokratie“ organisiert, an der sich mehr als 60 Einrichtungen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur in Dresden sowie das Bündnis „Weltoffenes Dresden“ beteiligten. Und nach den Wahlergebnissen? „Unser Prorektorat Universitätskultur, das sich unter anderem mit einer gleichberechtigten und von Weltoffenheit und Diversität geprägten Teilhabe am Campusleben befasst, beschäftigt sich aktuell mit möglichen Konsequenzen des Wahlergebnisses und dem Aufkommen von rechtsextremistischen Haltungen in der Gesellschaft“, sagt ein Universitätssprecher. Sollte es zu Äußerungen von rechtsextremen Gedanken auf dem Campus kommen, stünde eine Beschwerdestelle bereit. „Dort können solche Vorkommnisse gemeldet und dann auch untersucht werden. Rechtsextreme und verfassungsfeindliche Äußerungen und Aktivitäten werden bei uns nicht toleriert und entsprechend dienst-, personal- beziehungsweise strafrechtlich verfolgt.“
Während die Carl Zeiss AG zu den größten Arbeitgebern in Thüringen gehört, ist neben der TU Dresden die Stadt Leipzig ein solcher in Sachsen. Sie ist zwar zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, scheint aber dennoch im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen den Rechtsruck in Sachsen vorgehen zu wollen – besonders auch im Rahmen der Landtagswahlen. Zum einen geschieht das laut einer Sprecherin der Stadt mittels einer klaren Kommunikation an die Belegschaft: „Wir haben aktiv benannt, dass städtische Beschäftigte sich ihres Auftrags für eine wehrhafte Demokratie bewusst sein und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen müssen.“ Diese Botschaft solle auch direkt bei neuen Mitarbeitenden klar platziert werden. Einen Tag nach der Landtagswahl wurden Azubis bei der Stadt Leipzig vom Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning mit den Worten „Willkommen im Team Grundgesetz!“ begrüßt. Wie wichtig es ist, extremistischem sowie rassistischem und antisemitischem Gedankengut entgegenzutreten, sei laut der Sprecherin der Stadt ebenfalls Teil seiner Begrüßungsrede gewesen.
Wissen vermitteln und aufklären
Außerdem will die Stadt Leipzig noch mehr in Programme zur politischen Bildung der Mitarbeitenden investieren. Das Ziel: Beschäftigte sollten geschult werden, wie sie gegenüber verfassungsfeindlichem und verschwörerischem Gedankengut für demokratische Werte einstehen können. Gleichzeitig soll umfassend über Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit aufgeklärt werden. Erstmals findet in diesem Jahr eine „Woche der Demokratie“ für die Mitarbeitenden statt, in der es Workshops, Planspiele und Stadtrundgänge zu historischen und politischen Themen gibt.
Das Thema Demokratie und Werte werde zudem an unterschiedlichsten Stellen in der Employee Journey platziert. So etwa bei Einführungsveranstaltungen für neue Mitarbeitende, bei der Vereidigung von Beamten und Beamtinnen oder bei Fortbildungen für Führungskräfte. „Um aus der Geschichte zu lernen und aufzuzeigen, dass weder Freiheit noch Demokratie jemals selbstverständlich waren und sind, fließen historische Ereignisse exemplarisch regelmäßig in Maßnahmen der Personalführung ein“, so die Sprecherin der Stadt Leipzig.
Wie stehen Unternehmen zur AfD?
Während sich die Stadt Leipzig positioniert, bleiben andere Arbeitgeber still. Sind sie damit automatisch AfD-nah? Keinesfalls. Das zumindest zeigt eine Befragung des Instituts der Wirtschaft (IW) unter 925 Geschäftsführern, Vorständinnen und Leitern von Strategieabteilungen aus dem Frühjahr 2024. Das Ergebnis: „Der Anteil der deutschen Unternehmen, der im Erstarken der AfD ein politisches und ökonomisches Risiko sieht, überwiegt den Anteil derer, die etwaige Chancen sehen, um ein Vielfaches“, heißt es von den Studienverfasserinnen und -verfassern. Demnach sehen die Unternehmerinnen und Unternehmer aus Ost- und Westdeutschland vor allem für die Politik Gefahren, aber auch für die Fachkräftesicherung, den Wirtschaftsstandort Deutschland, Investitionsentscheidungen, die Transformationspolitik sowie den Zusammenhalt in der Belegschaft.
Das passt mit der Aussage von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger überein, der nach der Wahl sagte: „Die soziale Marktwirtschaft, offene Märkte und eine liberale Gesellschaft sind aus Sicht der Arbeitgeber unverzichtbare Leitplanken. Die Antwort auf Populismus und rückwärtsgewandte Konzepte muss eine pragmatische Politik sein, die sich an den Problemen der Betriebe und ihrer Beschäftigten orientiert.“
Zurück zur IW-Studie und der Nähe von Arbeitgebern zur AfD: Aus den qualitativen Antworten der Befragten geht laut den Studienverfasserinnen und -verfassern hervor: „Nicht mal jedes zwanzigste Unternehmen kann man eindeutig als Unterstützer der AfD charakterisieren – in Ost- wie in Westdeutschland.“ Allerdings fänden auch ganze 23 Prozent in der Bundesrepublik „einige Positionen der AfD sinnvoll/ grundsätzlich vertretbar“.
Doch warum äußern sich so wenige Unternehmen zur AfD? Das liegt laut der IW-Studie vor allem daran, dass sich viele nicht in der Pflicht sehen, politische Debatten zu führen und politische Neutralität als Kennzeichen ihrer Unternehmenskultur ansehen. Andere sind der Meinung, dass die etablierten Parteien wenig kompetent sind und ihre Wirtschaftspolitik nicht zu unterstützen sei, oder dass eine Demokratie Parteien wie die AfD aushalten müsse. Die Sorge, dass es durch eine Positionierung zu Absatzrückgängen oder einem Abbruch von Geschäftsbeziehungen kommt, habe kaum ein Arbeitgeber artikuliert.
Reaktionen aus der HR-Szene
Äußern und klar positionieren kann sich auch HR. Dazu zumindest haben einige Menschen aus der Szene nach der Wahl aufgerufen. Eine davon ist Bêrîvan Ronahî Akbaba, Human Resources Generalist beim Beratungsunternehmen MD7. Sie schreibt auf Linkedin: „Ich möchte an alle Führungskräfte, Personalverantwortliche und Gründerinnen sowie Gründer da draußen appellieren: Zeigt Haltung und seid für die Menschen da, die jetzt mit der Angst leben müssen und vergesst eines nicht – Allyship im Betrieb und Zivilcourage auf der Straße ist das, was wir brauchen. Beides kann man lernen, es gibt genug professionelle und integere DEIB-Beraterinnen und -Berater, die gerne gegen Honorar helfen.“
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Und Ute Neher, Principal Talent Intelligence bei Indeed, schreibt: „Für HR ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen und aktiv zu handeln.“ Das gelinge etwa, indem mittels des Managements von Diversity, Equity & Inclusion und diesbezüglichen klaren Regelungen bewusst Vorurteile im Unternehmen abgebaut werden. Zudem sollten Arbeitgeber klar kommunizieren: „Bei uns gibt es keinen Raum für Rassismus oder die Missachtung demokratischer Werte. Wer diese Prinzipien nicht teilt, gehört nicht zu uns.“
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.