Personalwirtschaft: Frau Meentzen, warum besorgt Sie der Anstieg an Diversity-Abteilungen?
Janin Meentzen: Die Schaffung von Diversity-Abteilungen impliziert, dass wir – also schwule, lesbische, Transgender-Menschen et cetera – gemanagt und integriert werden müssen. Wir sind aber schon integriert, die anderen müssen uns akzeptieren. Mir erscheinen Diversity-Abteilungen wie eine Notlösung. Getreu dem Motto: Wenn keiner mehr weiterweiß, bilde ich einen Arbeitskreis. Das Etablieren von Diversity Managern halte ich auch nicht für sinnvoll, weil sich vor allem der Vorstand mit dem Thema beschäftigen muss, nicht einzelne Mitarbeiter.
Können Sie das genauer erklären?
Durch die Schaffung einer Diversity-Abteilung schiebt der Vorstand die Verantwortung für das Thema auf eine neu-entstandene Abteilung und sagt: Mach mal. Doch die Diversity-Abteilung hat nicht dieselbe Durchschlags- und Strahlkraft. Sie kann die Leute als einzelnstehende Abteilung, vielerorts losgelöst von der Unternehmensstrategie, nicht abholen. Denn es sind nicht die Diversity Manager, zu denen die Belegschaft aufschaut, es ist der Vorstand. Gleichzeitig ist es absurd, einen „Diversity-Raum“ zu kreieren, obwohl im Unternehmen Menschen diskriminiert werden, weil sie schwul, lesbisch und/oder transgender sind. Die Führung muss einen respektvollen Umgang vorleben, sonst geht es nicht.
Wie genau können Führungskräfte dafür sorgen, dass Transgender-Menschen sich in ihrem Unternehmen wohlfühlen?
Du brauchst Führungskräfte, die nach außen vermitteln, dass sie jedem offen gegenüber sind und niemanden schlechter behandeln als andere. Die Vorstände müssen anfangen, diese Offenheit und Akzeptanz im Unternehmen zu leben. Sie können ihre Belegschaft so erziehen, dass es selbstverständlich ist, dass eine Frau in der Führungsposition ist oder ein Transgender-Mensch. Auch sollten sie ihre Werte analysieren – behandeln sie wirklich jeden Mitarbeiter gleich?
Warum können das viele Führungskräfte aktuell anscheinend nicht?
Viele derzeitige Führungskräfte sind in die Position gekommen, weil sie fachlich der beste Mitarbeiter waren, nicht aber, weil sie mit Menschen umgehen können. Eine gute Führungskraft versteht Menschen, setzt sich mit ihnen auseinander, erkennt ihr Potenzial und positioniert beziehungsweise fördert sie entsprechend. Und dann muss sie vermitteln, dass sie jeden Menschen gleichbehandelt – selbst wenn ihr dieser persönlich unsympathisch ist. Deshalb bin ich der Meinung: Es braucht keine Diversity-Abteilung, sondern einen Coach, welcher der Führungsebene beibringt, wie man fair mit jedem Mitarbeiter umgeht. Sinnvoll wäre auch eine neue Definition von Norm.
Wie meinen Sie das?
Viele Menschen reagieren verwirrt oder aggressiv auf Transgender-Menschen. In ihrer Wahrnehmung passen wir nicht in die Norm. Doch wer ist eigentlich normal? Derjenige, der sich so gibt, wie er glaubt, dass die anderen ihn sehen möchten? Oder derjenige, der ehrlich zu sich selbst und seinen Mitmenschen ist? In unserer aktuellen Gesellschaft gilt ersteres als normal. Wer sich mit Menschen umgibt, die sie selbst sind, macht sich oftmals Sorgen, wie sich das auf die eigene Reputation auswirken kann. Wir müssen als Gesellschaft dahinkommen, dass wir die Menschen so nehmen, wie sie sind. Das ist aber ein ganz schwieriger Prozess.
Stichwort „Menschen verstehen“: Was müssen Führungskräfte hinsichtlich Trans-Menschen sehen?
Es gibt eine sehr hohe Prozentzahl an Transgender-Menschen in Deutschland und die wenigsten davon outen sich. Wenn, dann meist im kleinen Kreis. Sie reisen in eine Stadt, wechseln auf dem Weg dorthin die Kleidung und verkörpern das Geschlecht, als das sie sich eigentlich fühlen, für einen kurzen Moment. Danach wechseln sie wieder in ihre andere Identität. Oft weiß das Umfeld nichts davon. In den meisten Fällen verbergen sie so lediglich ihre Transgender-Natur. Und wer den Schritt zur körperlichen Transition geht, muss viel in Kauf nehmen – beispielsweise depressive Verstimmungen durch Hormoneinnahmen, und Schmerzen durch Operationen.
Was kann HR tun, damit sich mehr Menschen sicher genug fühlen, um sich zu outen?
Das Vergütungssystem und die Stellenanzeigen überdenken. Equal Pay – und Gleichstellung generell – sollte Standard sein. Viele Transfrauen outen sich nicht, weil sie beim Wechsel von Mann zur Frau weniger Geld bekommen. Auch plädiere ich dafür, nicht von einer Frauen-, sondern von einer Männerquote zu sprechen. Sprich zu sagen: Wir brauchen 50 Prozent Männer, statt mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Und dann die Stellenanzeigen ändern. Ich muss männlich, weiblich, divers reinschreiben. Die Reihenfolge ist problematisch – erst werden Männer, dann Frauen, dann diverse Menschen genannt. Alphabetische Gründe hat diese Reihenfolge nicht. Warum es für Diversity-Ziele wichtig ist, dass sich Menschen outen, verstehe ich auch nicht.
Warum?
Arbeitgeber sollte das, wofür sich jemand outen kann, gar nicht interessieren. Dieser Aspekt der Person sollte in der Berufswelt keine Rolle spielen. Auf die Zahl der Outings im Unternehmen Wert zu legen, halte ich für nicht hilfreich. Natürlich sollten Arbeitgeber respektvoll damit umgehen, wenn sich jemand als transgender outet.
Wie genau kann dieser respektvolle Umgang aussehen – auch vonseiten HR?
Eine große Rolle spielt zum Beispiel die Namensänderung. HR und Führungskräfte sollten Transgender-Menschen das Gefühl geben, dass sie dabei Rückhalt vom Unternehmen bekommen. Ich rate allerdings davon ab, es proaktiv anzusprechen. Es geht darum, Mitarbeitenden so viel Vertrauen mitzugeben, dass sie mit diesem Anliegen von selbst kommen.
Was, wenn dies nicht klappt?
Dann ist mein Tipp an den Trans-Menschen: Suche dir eine andere Firma: Du musst dich nicht outen! Du musst nur das Gefühl bekommen, die Firma akzeptiert wirklich jede und jeden, ganz gleich welchen Inhalt sie oder er im eigenen Rucksack mit sich trägt und wie sie oder er damit öffentlich umgeht. Sonst zerreißt es einen innerlich und Unwohlsein sowie Unproduktivität setzt ein.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.