Durch neue technologische Entwicklungen, sich ständig verändernde Märkte und die sich wandelnde Arbeitswelt werden die Anforderungen der Fachabteilungen an die Ausbildungen immer größer. In meinen letzten Kolumnen bin ich in diesem Zusammenhang bereits auf die Bedeutung von Zukunftskompetenzen und Selbstverantwortung eingegangen. Nach Abschluss der Ausbildung bleibt nicht immer die Zeit, um neue Kolleginnen und Kollegen lange einzuarbeiten. Immerhin fangen die wenigsten exakt dort an, wo sie auch ausgebildet wurden. Es werden schnell einsatzfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigt, die Probleme selbstständig lösen können.
Traditionelle Lehrmethoden stoßen bei der Vermittlung von diesen überfachlichen Kompetenzen zunehmend an ihre Grenzen. Agile Methoden bieten neue Lösungsmöglichkeiten. Diese Kolumne beleuchtet, wie agile Praktiken die Berufsausbildung revolutionieren können, indem sie Flexibilität, Selbstverantwortung und kontinuierliches Lernen in den Vordergrund stellen.
Was sind agile Methoden?
Agile Methoden sind Ansätze, die auf Prinzipien wie iterative Entwicklung, Selbstorganisation und Cross-Funktionalität basieren. Ursprünglich in der Softwareentwicklung eingeführt, zielen diese Methoden darauf ab, schnell auf Veränderungen reagieren zu können und eine hohe Produktqualität sicherzustellen. Bekannte Praktiken sind Scrum und Kanban sowie ihre bekannten Meetingformate wie Daily-Stand-ups, Reviews und Retrospektiven.
Die Notwendigkeit der Agilität in der Berufsausbildung
Die dynamischen Veränderungen in fast allen Branchen erfordern eine Anpassung der Ausbildungsmethoden. Agile Methoden ermöglichen es, Ausbildungsprogramme und -inhalte flexibler zu gestalten und schneller auf neue Anforderungen der Fachabteilungen und Bedürfnisse beziehungsweise Interessen der Auszubildenden zu reagieren. Statt starrer Lehrpläne rückt der fortlaufende Lernprozess in den Mittelpunkt, der es den Auszubildenden ermöglicht, kontinuierlich Fähigkeiten zu entwickeln, die einen starken Anwendungsbezug haben. Die folgenden Beispiele sollen das illustrieren.
Einführung agiler Methoden
1. Scrum für Projektmanagement
Scrum kann verwendet werden, um Projekte in kurzen Sprints zu organisieren. Ausbildende agieren als Scrum-Master, die den Auszubildenden helfen, selbstorganisiert Lernziele zu setzen und diese in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und anzupassen. Die Einteilung in Sprints ermöglicht eine flexible Anpassung des Lerninhalts und fördert eine tiefere Auseinandersetzung mit den Inhalten.
2. Kanban für transparente Lernprozesse
Kanban fördert Transparenz und Selbstmanagement, indem es den Auszubildenden ermöglicht, ihren Lernfortschritt auf visuellen Boards nachzuvollziehen. Dies hilft ihnen, den Überblick über ihre Aufgaben zu behalten und Prioritäten eigenständig zu setzen. Für Ausbildende bietet es die Möglichkeit, individuelle Unterstützung gezielter anzubieten und den Prozess zu kontrollieren.
3. Neue Meetingformate
Zu möglichen Meetingformaten, die Scrum zugeordnet sind, gehören Daily-Stand-ups, bei denen der aktuelle Fortschritt des Projektes beziehungsweise des Sprints als auch die Aufgaben der einzelnen in einem täglichen, kurzen Meeting besprochen und transparent gemacht werden. In Reviews wird der Projektfortschritt beziehungsweise die Zwischenergebnisse des Projektes vorgestellt. In Retrospektiven wird die Zusammenarbeit und die Qualität der Ergebnisse reflektiert und Lösungsmöglichkeiten im Team entwickelt.
Beispiel aus der Praxis:
Die LV 1871 aus München e.G. hat bereits vor einigen Jahren die wenig flexiblen Strukturen in der Ausbildung erkannt und daher die Ausbildung neu gedacht.
Neben verschiedenen anderen Maßnahmen startet die Ausbildung für alle Auszubildenden und dual Studierende mit einer Kreativ-Werkstatt, in der diese für sechs Monate eine Projektaufgabe eigenständig bewältigen müssen. Mit der Scrum-Methode und der Begleitung der Ausbildenden als Product Owner müssen die Auszubildenden und dual Studierenden unterschiedlicher Berufe diese Aufgabe bewältigen und im besten Fall zum Ergebnis bringen. Die Effekte sind durchschlagend: Auszubildende sind nach diesen sechs Monaten einsatzfähig in den Fachabteilungen, sie lernen in kurzer Zeit alle Produkte kennen, verbessern ihre Zusammenarbeit im Team und haben einen hohen Anwendungsbezug mit Höhen und Tiefen erlebt.
Vorteile der agilen Ausbildung
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Agile Methoden ermöglichen eine schnelle Anpassung an veränderte Bedingungen und Lernbedürfnisse der Auszubildenden.
Verbesserte Motivation und Engagement: Durch die aktive Einbindung in den Lernprozess fühlen sich Auszubildende verantwortlicher für ihren eigenen Fortschritt und lernen mit der Übertragung von Verantwortung diese für ihren Lernprozess und das Projekt beziehungsweise die Aufgabe anzunehmen.
Höhere Erfolgsquoten: Individuell angepasste Lernwege und kontinuierliches Feedback erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Auszubildende erfolgreich sind. Die betrifft insbesondere Auszubildende, die dem Lernen gegenüber nicht positiv eingestellt sind.
Engere Zusammenarbeit: Agile Ausbildung fördert die Teamarbeit und soziale Fähigkeiten und verbessert die Kommunikation zwischen Auszubildenden und Ausbildenden.
Herausforderungen und Überwindung
Die Einführung agiler Methoden in traditionelle Ausbildungssysteme kann auf Widerstände stoßen, insbesondere wenn es um die Veränderung von etablierten Strukturen geht. Schulungen für Ausbildende, die Anpassung von Bewertungssystemen und die Schaffung einer offenen Unternehmenskultur sind essenziell für den Erfolg der agilen Transformation in die Ausbildung. Die Implementierung agiler Methoden in der Berufsausbildung ist mehr als eine methodische Anpassung; sie bedeutet einen Kulturwandel, der Ausbildende und Auszubildende gleichermaßen befähigt, proaktiv auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren. Mit den richtigen Werkzeugen und einer offenen Einstellung kann die agile Ausbildung eine wertvolle Brücke zwischen traditioneller Bildung und den Anforderungen einer dynamischen Arbeitswelt schlagen.
