Ein ausgeglichenes Verhältnis an männlichen und weiblichen Beschäftigten sowie ein verhältnismäßig kleiner Gender Pay Gap heißen noch lange nicht, dass Frauen die gleichen Aufstiegschancen haben, wie Männer, oder gar schon dieselben Hierarchielevel erreicht haben. Das zeigt auch eine neue Studie.
Candidate Select, eine Ausgründung der Universität Bonn, hat dafür Daten von 1,5 Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus 659 deutschen Unternehmen ausgewertet. Voraussetzung war, dass die Jobtitel von mindestens 150 Mitarbeitenden ausgewertet werden konnten. Aus dem Scoring geht hervor, in welchen Branchen und für welche Unternehmen ein Hierarchievorteil für Männer oder Frauen beziehungsweise eine Gender Parity besteht.
Grundlage für diese Daten sind die Angaben auf öffentlich einsehbaren Web-Profilen, also auf beruflichen Netzwerken, wie Candidate Select auf Anfrage erläuterte. Die Daten basieren also auf der Selbstauskunft der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und sind nicht zwingend aktuell, denn nicht Jeder und Jede aktualisiert ihr oder sein Linkedin-Profil sofort, wenn es eine Beförderung gab. Die Vornamen der Profile wurden dem Geschlecht männlich oder weiblich zugeordnet. Profildaten mit uneindeutigem Vornamen wurden herausgefiltert. Die genutzten Daten wurden im Rahmen des durch das Land NRW und die EU geförderten Projektes FAIR („Fair Artificial Intelligence Recruiting”) in Kooperation mit der Universität zu Köln gesammelt.
Aus Jobtiteln wurden Hierarchielevel und -vorteile
Um zunächst herausfinden zu können, auf welchem Hierarchielevel sich die jeweilige Person befindet, wurden die Jobtitel untersucht. Sie wurden durch ein eigens entwickeltes KI-Modell verschiedenen Hierarchiestufen zugeordnet:
- Pre-Entry – 1 Praktikum / Werksstudium
- Entry – 2 Junior-Positionen
- Intermediate – 3 Senior-Positionen
- Experienced – 4 Management-Positionen
- Advanced – 5 C-Level, Gründer, Partner
Im Anschluss wurde der Unterschied zwischen der durchschnittlichen Hierarchiestufe von Männern und Frauen je Unternehmen bestimmt und die Ergebnisse in Kategorien eingeteilt:
- F+++ sehr starker Hierarchievorteil Frauen
- F++ starker Hierarchievorteil Frauen
- F+ schwacher Hierarchievorteil Frauen
- 0 Gender Parity
- M+ schwacher Hierarchievorteil Männer
- M++ starker Hierarchievorteil Männer
- M+++ sehr starker Hierarchievorteil Männer
Sind Männer und Frauen im Durchschnitt gleichermaßen zum Beispiel auf der Hierarchiestufe 3, so besteht eine Gender Parity (0). Sobald ein Geschlecht eine höhere durchschnittliche Stufe als das andere hat, gibt es einen Hierarchievorteil, also F oder M und je nach Ausprägung die Stärke + bis +++. So viel sei an dieser Stelle vorwegzunehmen: Einen sehr starken Hierarchievorteil für Frauen (F+++) gibt in keinem einzigen untersuchten Unternehmen. Das Gegenstück (M+++) allerdings sehr häufig.
Beste Gender Parity in der Branche Consulting – die schlechteste in Media & Marketing
Für eine bessere Vergleichbarkeit, und weil gewisse Branchen männerdominierter sind als andere, wurden die Unternehmen in eine von zehn Branchen einsortiert. Das Ergebnis: Der Anteil der Unternehmen, in denen Frauen und Männer auf der gleichen oder Frauen auf einer höheren Hierarchiestufe sind als Männer, liegt im Consulting mit 40 Prozent am höchsten. Im Umkehrschluss bedeutet das: In 60 Prozent der untersuchten Consultingfirmen haben Männer einen Hierarchievorteil. Das Schlusslicht des Branchenrankings ist Media & Marketing. Hier herrscht nur in 18 Prozent der Unternehmen eine Gender Parity oder ein Hierarchievorteil für Frauen.
Parität oder Frauen besser | Branche |
40 % | Consulting |
37 % | Finance |
35 % | IT / Software / Hardware |
32 % | Logistics / Mobilty / Tourism |
32 % | Automotive |
30 % | Consumer Goods / Food |
29 % | Biotech / Healthcare |
26 % | Engineering / Construction |
26 % | Energy / Utilities |
18 % | Media / Marketing |
Hoher Frauenanteil nicht gleich hohes Hierarchielevel bei den Frauen
Die Studienmacher haben die einzelnen Branchen weiteraufgelistet und bei den 659 Unternehmen den Stand des Hierarchievorteils verglichen mit der Geschlechteraufteilung im Unternehmen insgesamt. Hierbei zeigt sich, dass ein ausgeglichenes Verhältnis an männlichen und weiblichen Beschäftigten nicht zwangsweise dazu führt, dass Männer und Frauen auch im Schnitt dasselbe Hierarchielevel erreicht haben.
Besonders eindrücklich ist dies beispielsweise bei Marc O’Polo aus der Branche Consumer Goods/Food. Zwar lässt sich aus den Profildaten ein Frauenanteil in Höhe von 69 Prozent berechnen. Trotzdem herrscht dort ein sehr starker Hierarchievorteil für Männer (M+++). Umgekehrt ist es bei dem Unternehmen Rothschild & Co aus der Branche Finance. Trotz einer Frauenquote von nur 15 Prozent gibt es dort einen starken Hierarchievorteil für Frauen (F++). Im Durchschnitt haben die Frauen also ein deutlich höheres Hierarchielevel als die Männer. Die vollständige Auflistung der Unternehmen finden Sie hier.
Erweiterte Betrachtung des Gender Pay Gaps
Der Gender Pay Gap, der 2022 bereinigt bei 7 Prozent lag, wird ganz bewusst um die Hierarchiestufen bereinigt. Denn es geht darum, die Gehälter der Geschlechter auf gleicher Ebene zu analysieren – entsprechend der Richtlinie “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit”. In der Folge werden die Daten, bei denen auf der Hierarchiestufe das jeweils andere Geschlecht gar nicht existiert, rausgefiltert.
Es kann also durchaus sein, dass ein Unternehmen zwar keinen oder einen sehr geringen Gender Pay Gap hat, aber gleichzeitig beispielsweise nur Männer in den Führungsetagen sitzen. Die Gehälter dieser Männer können nicht mit Gehältern des anderen Geschlechts verglichen werden, da dieses auf der Hierarchiestufe nicht vorkommt. Daher lohnt sich auch der Blick auf das durchschnittliche Hierarchielevel der Geschlechter.
Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie die Erstellung der zahlreichen Newsletterformate sowie unser CHRO-Panel.