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Strukturwandel meistern: Was bringt das Qualifizierungsgeld?

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Seit April können Unternehmen für die Weiterbildung ihrer Belegschaft ein sogenanntes Qualifizierungsgeld beantragen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) möchte damit vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Transformation in Richtung Klimaneutralität vor allem Firmen unterstützen, in denen sich Produktionsverfahren und Anforderungsprofile im Zuge des Strukturwandels deutlich ändern. Wir beantworten die wichtigsten Fragen. 

Welchem Zweck hat das Qualifizierungsgeld? 

Konkret sollen Anreize geschaffen werden, damit Beschäftigte sich weiterbilden und so mit neuen Qualifikationen auch zukünftig im Betrieb verbleiben können. Zielgruppe des Qualifizierungsgeldes sind laut Gesetzentwurf vor allem Beschäftigte, „denen durch den Strukturwandel der Verlust von Arbeitsplätzen droht, bei denen Weiterbildungen jedoch eine zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen ermöglichen können“. 

Grundsätzlich muss das Qualifizierungsgeld vom Arbeitgeber – unabhängig von der Betriebsgröße – schriftlich oder elektronisch bei der zuständigen, also meistens der ortsansässigen Arbeitsagentur beantragt werden. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) sollte das „spätestens drei Monate vor Beginn der Maßnahme“ geschehen. Die Mitarbeitenden müssen einer Teilnahme explizit zustimmen. 

Das BMAS rechnet beim Qualifizierungsgeld mit eigenen Angaben zufolge mit einer „Inanspruchnahme von jahresdurchschnittlich rund 10.000 Weiterbildungsteilnahmen“. Dafür sind laut Regierung im laufenden Jahr zu 360 Millionen Euro veranschlagt. Wie viele Unternehmen die Leistung tatsächlich nachfragen, lässt sich indes noch nicht absehen. Eine Sprecherin der BA in Nürnberg teilte auf Anfrage unserer Redaktion mit, man habe derzeit „noch keine Daten“, die genaueren Aufschluss geben. 

Das bestätigt auch die Regionaldirektion Baden-Württemberg der BA: Konkrete Förderfälle seien dort „aktuell noch nicht zu verzeichnen“, so eine Sprecherin. Das sei jedoch erklärbar, da die Unternehmen vor Inanspruchnahme der im April gestarteten Leistung gewisse Fördervoraussetzungen erfüllen müssten und dafür eine „entsprechende Vorlaufzeit“ bräuchten. In der Beratung durch die Arbeitgeberservices der Arbeitsagenturen gebe es im Südwesten jedoch durchaus Interesse am Qualifizierungsgeld – nicht zuletzt von größeren Unternehmen.

Martina Musati, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der BA, sagt dazu: „Seit 2019 ermöglicht das Qualifizierungschancengesetz mehr Förderung von Qualifizierung Beschäftigter. Mit der Einführung des Qualifizierungsgeldes im April 2024 können wir darüber hinaus gezielt Unternehmen unterstützen, die von Transformation betroffen sind. Während Unternehmen zum Beispiel ihre Produktion umbauen, können sich Beschäftigte passend qualifizieren. Das Qualifizierungsgeld erfüllt damit eine Doppelfunktion: Es investiert nachhaltig in die Beschäftigungsfähigkeit und den Kompetenzaufbau der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sichert deren Arbeitsplatzerhalt. Gleichzeitig unterstützt es die Unternehmen bei der Fachkräftesicherung.“

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Mittel zu erhalten? 

Grundsätzlich wird das Qualifizierungsgeld unabhängig von der Unternehmens- beziehungsweise Betriebsgröße sowie dem Alter oder der Qualifikation der betroffenen Beschäftigten gewährt. 

Allerdings gibt es bestimmte Fördervoraussetzungen – sowohl für Betriebe als auch für Mitarbeitende. Diese sind im Dritten Sozialgesetzbuch (Arbeitsförderung) in den § 82 a bis 82 c geregelt. 

So müssen  

  • in einem Betrieb mindestens 20 Prozent der Beschäftigten „strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarfe“ aufweisen 
  • in KMU, also kleinen und mittelständischen Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, liegt der Wert bei zehn Prozent 
  • die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen selbst vom Arbeitgeber bezahlt werden; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht an den Kosten beteiligt werden 
  • entsprechenden Qualifizierungen mehr als 120 Stunden umfassen, wobei kürzere Einheiten kombiniert werden dürfen; bei Vollzeitmaßnahmen, die ggf. zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führen, sind bis zu 3,5 Jahre zulässig. 

Zudem müssen beim Up-Skilling „Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die über ausschließlich arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinausgehen“. Dies darf nur bei Trägern vonstatten gehen, die eine Zulassung im Sinne der AZAV (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung) haben, also speziell anerkannt sind. 

In formaler Hinsicht ist wichtig, dass laut Gesetz zunächst „durch eine Betriebsvereinbarung oder durch einen Tarifvertrag betriebsbezogene Regelungen getroffen“ werden müssen, um die Förderung zu nutzen.  

Laut Arbeitsagentur muss dabei aufgezeigt werden „welche Qualifizierungsmaßnahmen für die betroffenen Beschäftigten dem Grunde nach geplant sind und warum die Betriebs- beziehungsweise Tarifparteien davon ausgehen, dass durch die Qualifizierungsmaßnahmen eine nachhaltige Beschäftigung im Betrieb gesichert wird“. Hierzu reiche „eine nachvollziehbare Prognose aus“. In Kleinbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten genügt eine schriftliche Erklärung. 

Wie viel Geld gibt es? 

Das Qualifizierungsgeld ist eine Lohn-/Entgeltersatzleistung. Das heißt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Zeiten, in denen sie an eine Weiterbildung absolvieren, Geld von der Arbeitsagentur bekommen und kein Gehalt des Arbeitgebers. 

Von der Höhe her umfasst die Zahlung bei kinderlosen Berufstätigen 60 Prozent und bei Beschäftigten mit mindestens einem Kind 67 Prozent der Nettoentgelt-Differenz. Damit gemeint ist die Differenz zwischen dem reduzierten Nettolohn, den der Arbeitgeber für zwischenzeitlich reduzierte Arbeitsleistung weitezahlt, und dem Nettoentgelt, das Beschäftigte erhalten würden, wenn sie keine (längere) Weiterbildung absolvieren würden. Das Qualifizierungsgeld ist damit systematisch ähnlich gestaltet ist wie Kurzarbeitergeld

Etwaige Zuschüsse des Arbeitgebers, um die Lohnlücke zu schließen, werden übrigens nicht auf das Qualifizierungsgeld angerechnet. Gleiches gilt für eine Nebenbeschäftigung während des Bezugs von Qualifizierungsgeld, sofern dabei ein Freibetrag von 165 Euro (nach Abzug von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und Werbungskosten) nicht überschritten wird. 

Wie waren die Reaktionen auf die Einführung? 

Während sich Akzeptanz und Wirkung des Qualifizierungsgeldes bislang noch nicht absehen lassen, sorgt das Instrument an sich für gemischte Reaktionen bei Wirtschaftsvertretern, Verbänden und Gewerkschaften. 

So hatte die Deutsche Industrie- und Handelskammer die Koppelung der Förderung an eine vorherige Übereinkunft der Sozialpartner oder Betriebsparteien bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisiert: Angesichts der Vorgabe „dürften viele KMU und deren Beschäftigte von der Nutzung dieses Förderinstruments von Vornherein ausgeschlossen sein“, heißt es in einer Stellungnahme. Grund: Tarifbindung und das Bestehen eines Betriebsrates seien „in KMU deutlich niedriger bzw. seltener gegeben als in größeren Unternehmen“.  

Susanne Müller von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte das Modell in einer Bundestagsanhörung seinerzeit sogar als Förderinstrument „ohne Mehrwert“. Die BDA hatten – vor allem im Hinblick auf geringqualifizierte Beschäftigte – gefordert, die nötige Mindeststundenzahl zu reduzieren, da oft auch kleine Maßnahmen dienlich seien. So nämlich werde der „Möglichkeitsraum für sinnvolle und notwendige geförderte Beschäftigtenqualifizierung signifikant größer“ und „umfangreichere Qualifizierungen von mehr als 120 Stunden bleiben weiterhin möglich“.  

Zustimmung für das Modell kam hingegen vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Zugleich sieht man dort allerdings noch Nachbesserungsbedarf und hält beispielsweise die „Einführung einer anteiligen Förderung der Weiterbildungskosten“ für wünschenswert.   

(Der Artikel wurde am 14. Juni 2024 veröffentlicht und zuletzt am 18. Juni 2024 aktualisiert und überarbeitet.)

Info

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.