Dass selbst börsennotierte Unternehmen grundlegende Standards bei Stellenanzeigen missachten, zeigt der „DAX-40-Stellenanzeigenreport 2024“ von Staffery, für den der Recruiting- und Employer-Branding-Dienstleister die Stellenausschreibungen aller DAX-40-Unternehmen analysiert hat. Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft.
Die mittels des Analyse-Tools „Staffery Jobtimizer“ ermittelten Mängel in Stellenausschreibungen fokussieren insbesondere auf Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung. So weisen 89 Prozent der Ausschreibungen Rechtschreib- oder Grammatikfehler auf. Bei 92 Prozent werden zu viele Bullet Points in der Jobbeschreibung aufgeführt, was den Lesefluss stört. Zudem enthielten nur 40 Prozent Gehaltsangaben – ein Aspekt, der von Bewerbenden zunehmend eingefordert wird und spätestens mit der neuen Entgelttransparenz-Richtlinie der EU relevanter wird.
Da fällt kaum noch negativ ins Gewicht, dass 54 Prozent der Ausschreibungen dupliziert wurden: Sie existieren damit mehrfach, was zur Folge hat, dass sich das Suchmaschinen-Ranking verschlechtert. Dadurch, dass fast alle Ausschreibungen (99 Prozent) zu wenige Keywords enthalten, verringert sich die Auffindbarkeit nach Ansicht von Staffery noch weiter.
Was bei Bewerbenden negativ auffällt, hat übrigens eine weitere aktuelle Studie des HR-Softwareherstellers Softgarden ermittelt: Unklare Formulierungen und Floskeln wie „flexibler Teamplayer“ gehören dort zu den häufigsten Kritikpunkten. Was Recruiterinnen und Recruitern besonders zu denken geben sollte: 52 Prozent der von Softgarden Befragten haben schon einmal von einer Bewerbung abgesehen, weil die Annonce zu schlecht formuliert war.
Auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau
Ein weiteres Problem sind überzogene oder unklare Anforderungsprofile, hat die Recruiting-Plattform meinestadt.de bereits im vergangenen Jahr ausgemacht. So suchen Unternehmen laut meinestadt.de häufig nach der sprichwörtlichen „eierlegenden Wollmilchsau“. Solche Stellenanzeigen wirken abschreckend, insbesondere auf qualifizierte Fachkräfte, die klare Erwartungen und eine angemessene Arbeitsbeschreibung suchen.
„Es ist schwer zu glauben, dass börsennotierte Unternehmen solche Defizite in Kauf nehmen, obwohl der Fachkräftemangel längst zur Chefsache erklärt wurde“, kritisiert Sven Konzack, Geschäftsführer von Staffery. Tatsächlich sind solche Fehler kein kosmetisches Problem: Sie beeinflussen nicht nur, wie viele Bewerbungen eingehen, sondern auch, ob diese qualitativ überzeugen.
KI und Lebensläufe: Die Illusion der Perfektion
Auf der Bewerberseite zeigt sich ein anderes Bild – und dennoch das gleiche Grundproblem: fehlende Qualität. Während Arbeitgeber oft mit unprofessionellen Stellenanzeigen potenzielle Kandidaten und Kandidatinnen abschrecken, führen immer mehr fehlerhafte und KI-generierte Lebensläufe zu Frust bei Personalern und Personalerinnen.
Laut des „Workforce Report 2024“ des HR-Beratungsunternehmens Remote, für den weltweit 4.000 Führungskräfte – darunter 500 in Deutschland – befragt wurden, hat die wachsende Verfügbarkeit von KI-Tools dazu geführt, dass Lebensläufe immer häufiger fehlerhaft oder unpassend sind. 77 Prozent der deutschen HR-Manager und –Managerinnen berichten von falschen Angaben in KI-generierten Lebensläufen. Gleichzeitig nimmt laut der Studie auch die Zahl unterqualifizierter Bewerber und Bewerberinnen spürbar zu.
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Hinweis: Den „Workforce Report 2024“ von Remote stellen wir in den kommenden Tagen noch einmal genauer vor.
Erschwerend kommt hinzu, dass KI-generierte Lebensläufe oft perfekt wirken, aber wenig Substanz haben. Bei einem genaueren Blick fallen solche Bewerbungen schnell durch, da sie weder die Persönlichkeit noch die tatsächliche Qualifikation des Bewerbenden abbilden. Personalverantwortliche müssen daher immer häufiger Zeit investieren, um solche Fälschungen zu entlarven.
Die Folge ist ein Teufelskreis, da sich die beiden Seiten gegenseitig verstärken: Fehlerhafte oder unattraktive Stellenanzeigen ziehen zwangsläufig weniger qualifizierte Bewerbungen an, während KI-Tools die Hürden für Bewerbende senken, sich auf Stellen zu bewerben, für die sie kaum geeignet sind. Personalverantwortliche stehen zunehmend vor der Mammutaufgabe, diese Flut irrelevanter Bewerbungen zu filtern – ein Prozess, der Zeit und Ressourcen verschlingt.
Die Verantwortung liegt auf beiden Seiten
Auf Linkedin werden fehlerhafte Bewerbungen beziehungsweise Stellenanzeigen intensiv diskutiert. Ein einheitliches Stimmungsbild gibt es dabei nicht: So plädiert Berater Michael Eckert beispielsweise für eine offene Fehlerkultur. „Fehler zu tolerieren, bedeutet nicht, die Qualität zu senken. Es bedeutet, den Menschen hinter dem Lebenslauf in den Vordergrund zu stellen.“ Weniger nachsichtig ist Michèle Ecke-Evers vom Personaldienstleister Cobalt, die mit Blick auf Lebensläufe kommentiert: „Perfektionismus lähmt. Hohe Ansprüche aber an sich zu haben, beflügelt. Deshalb zeichnen sich alle Lebensläufe von Ausnahmetalenten dadurch aus, dass sie fehlerfrei sind.“
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Aber auch die Unternehmensseite bekommt auf Linkedin ihr Fett weg. Den Unternehmen schreibt beispielsweise Recruiting-Berater Martin Nyhuis ins Stammbuch: „Die meisten Stellenanzeigen sind austauschbar. Um sich abzuheben, brauchen Sie Kampagnen, die Ihre Zielgruppe wirklich ansprechen.“ Er rät Unternehmen, dazu, nicht um den heißen Brei herumzureden. „Seien Sie ehrlich und authentisch. Zeigen Sie, was Ihr Unternehmen besonders macht, und vermeiden Sie Standardfloskeln.“
Vielleicht liegt die Verantwortung für eine erfolgreiche Bewerbung am Ende ja auch auf beiden Seiten: Der Bewerbungsprozess kann nur dann fehlerfreier und damit effektiver werden, wenn sowohl Unternehmen, als auch Bewerbende ihre Hausaufgaben machen. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Stellenanzeigen informativ, korrekt und suchmaschinenoptimiert sind – ein Anspruch, den nicht einmal die DAX-40-Unternehmen konsequent erfüllen. Bewerbende hingegen sollten authentisch bleiben und ihre Lebensläufe auf Korrektheit und Relevanz prüfen, statt blind auf KI-Tools zu vertrauen. Denn nicht alle Unternehmen sind so tolerant wie etwa Michael Eckert.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.