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Wechseljahre: Wie HR mit einem der letzten Tabus der Arbeitswelt brechen kann

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Metropolitan Police London
Ein Vorbild: Bei der britischen Polizei gibt es Richtlinien zum Umgang mit der Menopause. (Foto: Ian – stock.adobe.com)

Frauen sollen am Arbeitsplatz mehr gefördert werden, mehr Chancen erhalten und Führungspositionen einnehmen – diese Einstellung haben immer mehr Arbeitgeber. Doch um das Potential der weiblichen Fachkräfte vollkommen auszuschöpfen, gilt es auch auf eine oftmals bedeutende Lebensphase der Frauen zu achten: die Menopause. Denn die Wechseljahre können eine körperliche und mentale Herausforderung für Arbeitnehmerinnen werden, die ihre Leistungsfähigkeit im Beruf beeinträchtigt. In Unternehmen in Großbritannien ist diese Tatsache bei zahlreichen Arbeitgebern angekommen, die spezielle Richtlinien und Unterstützungsangebote für Frauen in der Menopause haben. In Deutschland gilt das Thema in der Arbeitswelt weitestgehend als Tabu und schambehaftete Angelegenheit.

Diese Scheu sich mit den Wechseljahren und deren Symptomen zu beschäftigen, könnte nicht nur negative Konsequenzen für eine Inklusion von Frauen haben, sondern der Minderung des Fachkräftemangels entgegenwirken. Laut einer UK-Studie aus dem Jahr 2019, die vom britischen Gesundheitsunternehmen BUPA und dem Berufsverband für Personalmanagementfachleute Chartered Institute of Personal and Development durchgeführt wurde, wird die Arbeit von drei von fünf Frauen in den Wechseljahren durch Menopausen-Symptome negativ beeinflusst – beispielsweise durch Hitzewallungen, die die Leistungsfähigkeit der Betroffenen kurzzeitig einschränken. Zudem hätten rund 900.000 Frauen in Großbritannien ihren Job für eine undefinierte Zeit wegen den Auswirkungen der Wechseljahre verlassen.

Diversity? Dann aber richtig!

Auf der Webseite des Britischen Parlaments ordnen Behördensprecher ein, was diese Zahlen bedeuten können: „Frauen in diesem Alter können Senior Management Rollen übernehmen. Ihr Ausscheiden aufgrund der Wechseljahre kann deshalb die Diversität auf der Führungsetage verringern, zum Gender Pay Gap beitragen und die Ungleichheit der Renten von Frauen und Männern verstärken.“ Ein Sprecher des britischen Rats für Polizeipräsidenten (National Police Chief’s Council) weist im von seiner Organisation zusammengestelltem Richtlinien-Papier „Management of Menopause Transition in the Police Service„, das dieses Jahr veröffentlicht wurde, darauf hin, dass Frauen ein immer größerer Teil der Arbeitskräfte werden. Ihre Bedürfnisse in den einzelnen Lebensphasen müssten ernstgenommen werden, um die Leistungsfähigkeit einer Behörde oder eines Unternehmens nicht zu gefährden.

Was geschieht in den Wechseljahren?

Dr. Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer beim Softwarekonzern SAP
Dr. Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer beim Softwarekonzern SAP. (Foto: privat)

Doch was geschieht im Körper der Frauen, wenn sie in die Wechseljahre kommen? Laut Aussagen der Deutschen Menopause Gesellschaft leidet jede achte von zehn Frauen in besagter Lebensphase – meist ab dem Alter von Mitte 40 – unter Hitzewallungen und Schweißausbrüchen. Durchschnittlich hielten diese durch hormonabfallvermittelten neuronalen Temperaturregulationsstörungen knapp siebeneinhalb Jahre an, können aber auch mal bis zu 13 Jahre dauern. Weitere Symptome können Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Angstzustände, eine erhöhte Reizbarkeit sein sowie ein Verlust des Selbstvertrauens. Zusätzlich können Frauen in ihren Wechseljahren unter Herzrasen, Kopfschmerzen, Hauttrockenheit, einer starken Periode sowie Konzentrations- und Gedächtnisproblemen leiden.

Mit diesen Symptomen hat auch Dr. Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer beim Softwarekonzern SAP, zu kämpfen. Sie gehört zu den wenigen Prozent, die es besonders hart trifft. Über Monate hatte sie mehrere Hitzeanfälle pro Stunde mit zusätzlichen Symptomen. Obwohl sie ursprünglich keinen Hormonersatz nehmen wollte, hat sie sich dafür entschieden, um leistungsfähig zu bleiben. Nach einer Brustkrebserkrankung, nach der keine Hormone mehr eingenommen werden durften, kamen die meisten Symptome zurück. Anstatt sich für ihren Lebensphasen-Zustand zu schämen, hat Lotzmann beschlossen, kein Tabu daraus zu machen und offen darüber zu sprechen. Sie habe nun ganz selbstverständlich immer Handtuch, Schaal, Jacke und Fächer dabei, um der gestörten Temperaturregulation zu begegnen.

Parallel entschloss sich ihre Kollegin Nina Strassner, Head of Diversity & People Programs Germany bei SAP, dazu, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden je nach Lebensphase auf die Agenda von HR aber auch des gesamten Konzerns zu setzen. „Wir wollen, dass sich der Arbeitsplatz den Lebensphasen der Mitarbeitenden anpasst“, sagt Strassner. Es gehe darum, die Arbeit zu vermenschlichen, denn damit werde die Performance der Mitarbeitenden verbessert, so die Überzeugung bei SAP.

Erste Kommunikationsschritte bei SAP Deutschland

Nina Strassner, Head of Diversity & People Programs Germany bei SAP
Nina Strassner, Head of Diversity & People Programs Germany bei SAP. (Foto: privat)

Zum Thema Menopause führten Strasser und Lotzmann vor ein paar Wochen einen unternehmensinternen Talk für alle SAP-Mitarbeitenden durch, an dem rund 600 Mitarbeitende teilnahmen, 20 Prozent davon waren Männer. Im Anschluss stellten die beiden SAP-Expertinnen Fachinformationen zusammen, die allen Beschäftigen zugänglich sind und die sie an die Führungskräfte der einzelnen Abteilungen kommunizierten. Die Thematik Menopause soll zukünftig auch im Rahmen der Schwerpunkte „How to keep my team resilient“ und „Healthy Leadership“ Teil der Führungskräfte-Ausbildung sein. Die Menopausen-Kampagne blendet zudem nahtlos in SAPs Mental-Health-Initiative „Are you ok – it’s ok not to be ok“ ein.

Die Resonanz sei positiv gewesen – besonders bei der jüngeren Generation. „Die älteren Frauen waren etwas zurückhaltender, schließlich waren sie es, die in den vergangenen Jahren für die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz gekämpft haben, und möchten durch den Fokus auf das Thema nicht als schwächeres Geschlecht angesehen werden“, sagt Strassner. Doch um eine Stigmatisierung ginge es auf keinen Fall. „Vielmehr sollen die Mitarbeiterinnen wissen, dass sie durch ihre Wechseljahre eingeschränkt sein dürfen und nicht alleine mit den Symptomen sind“, sagt Lotzmann. Ihre Kollegin Strassner verrät, dass in der Informationskampagne bestehend aus Artikeln und Fachwissen auf der Webseite und dem unternehmensinternen Newsletter von HR, das Thema auf eine bewusst lockere und fröhliche Weise dargestellt wird, um mögliche mentale Abwehrmechanismen gegen das Thema bei Mitarbeitenden auszuschalten.

Seit der Informationskampagne kommen laut Lotzmann mehr Mitarbeiterinnen wegen der Menopause zur medizinischen Beratung bei SAP. Ein Angebot an medizinischer Beratung zu den Wechseljahren sollte ihrer Meinung nach jedes Unternehmen anbieten

Beispiele für die Anpassungen der Arbeitsbedingungen

Um sich dem Thema mehr anzunehmen, hatte sich SAP auch von britischen Unternehmen inspirieren lassen. So gibt es beim University College London klare Richtlinien für Betroffenen und deren Kolleginnen und Kollegen. Zunächst sollten sich Frauen, die unter Symptomen der Menopause leiden, ärztliche Hilfe suchen und ihre Führungskraft sowie Kolleginnen und Kollegen und gegebenenfalls auch HR darüber in Kenntnis setzen. Auch könnten sie beim universitätsinternen Netzwerk für Frauen in den Wechseljahre Unterstützung finden.

Die Forschungseinrichtung bittet ihre Mitarbeitenden zudem, für Betroffene angemessene Anpassungen im Arbeitsalltag zu machen: Die Temperatur im Büro sollte kontrollierbar sein. Dies könne durch einen Ventilator auf dem Tisch oder einen Platz direkt am Fenster für die Betroffene sichergestellt werden. Der Mitarbeiterin, die Auswirkungen von Wechseljahren spürt, solle zudem ermöglicht werden, ihre Arbeitskleidung (Jacken oder Kittel) wenn möglich flexibel aus- und anziehen zu können, und ein Fach für die Unterbringung von Wechselklamotten angeboten werden. Lärmschützende Kopfhörer sollten bei Bedarf zur Verfügung gestellt und Pausen während der Arbeitszeit öfter erlaubt werden.

Im Richtlinien-Papier des National Police Chief’s Council lassen sich noch mehr Tipps zur Anpassung der Arbeitsbedingungen finden. Den Frauen sollte so oft wie möglich ein Zugang zu Sanitärbereichen, kaltem Trinkwasser und Ruheräumen zur Verfügung gestellt werden. Auch helfe es gegebenenfalls, die Arbeitskleidung der unter Umständen empfindlicheren Haut der Mitarbeiterin in der Menopause anzupassen. „Die Uniform könnte zum Problem werden“, heißt es im Papier. „Fragen Sie beim Hersteller nach, ob diese nicht auch aus Naturfaser angefertigt werden kann.“ Zudem sollte beachtet werden, dass sich Frauen während Hitzewallungen noch unwohler fühlen, wenn sie sich in engen Menschenmengen oder Räumen befinden. Das sollte vermieden werden.

Trotz der Kommunikationsmaßnahmen und Empfehlungen betonen alle Arbeitgeber, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, eines: die Menopause ist ein normales Event im Leben einer Frau und kein Krankheitszustand. „Die Wechseljahre sollten nicht als Krankheit gesehen werden, die die betroffene Mitarbeiterin davon abhält, ihre Arbeit zu erledigen“, sagt ein Sprecher des National Police Chief’s Council. „Es könnte allerdings nötig sein, bestimmte individuelle Anpassungen zu machen.“

 

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.