Der Fachkräftemangel wird teuer für die Wirtschaft – vor allem für die deutsche. Laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen werden die hiesigen Unternehmen mehr unter dem Fachkräftemangel leiden als in den meisten anderen wirtschaftsstarken Ländern. Die Expertinnen und Experten rechnen mit einem Verlust von rund 84 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Nur in den USA generieren unbesetzte Stellen demnach größere Verluste – und zwar mit 875 Milliarden US-Dollar pro Jahr fast zehnmal so hohe.
Die Kalkulationen für Deutschland basieren auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Demnach waren im zweiten Quartal 2022 etwa 1,9 Millionen Stellen in Deutschland unbesetzt. Weil aber natürlich nicht all diese Stellen dauerhaft unbesetzt bleiben, rechnen die Autorinnen und Autoren mit einer kleineren Fachkräftelücke von rund einer Million. Sie gehen zudem davon aus, dass jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin durchschnittlich pro Jahr 84.000 US-Dollar an Wirtschaftsleistung erbringt, die im Falle einer unbesetzten Stelle wegbrechen– insgesamt folglich 84 Milliarden US-Dollar.
Hat Deutschland die falschen Partner?
Die Studienverfasserinnen und -verfasser sehen vor allem in der Migration von Arbeitskräften eine Lösung, um die wirtschaftlichen Verluste zu minimieren. Dafür müsse Deutschland allerdings bürokratische Hürden abbauen und mehr Kooperationen mit Ländern eingehen, in denen die Geburtenraten nicht zurückgehen. „Deutschland ist eines der Länder, das am wenigsten auf eine Arbeitsmigration vorbereitet ist“, heißt es in den Studienfolien. Der Grund: Unter den Top 20 Partnerländern, mit denen Deutschland Regelungen zur Einreise von Fachkräften getroffen hat, haben nur fünf eine wachsende Population – nämlich die Türkei, Syrien, Afghanistan, Kasachstan und der Irak.
Mit diesen Kooperationspartnern und der derzeitigen Migrationsrate von 300.000 bis 400.000 Zuwanderern pro Jahr wird die durch den demografischen Wandel bedingte Fachkräftelücke nicht geschlossen werden. Laut der Studie wird die Anzahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis 2035 vielmehr um drei Millionen sinken und bis 2050 um 9 Millionen. Für die 13 Millionen ausscheidenden Fachkräfte kommen durch Zuwanderung nach derzeitigem Stand rund 4 Millionen dazu. Bleibt eine Lücke von 9 Millionen.
Obwohl die US-amerikanische Wirtschaft derzeit deutlich höhere finanzielle Verluste aufgrund des Fachkräftemangels aushalten muss, prognostizieren die Studienverfasserinnen und -verfasser, dass das Land bis 2050 seine Fachkräftelücke geschlossen hat. Denn die Vereinigten Staaten setzen gezielt auf Einwanderung.
Migration wird nicht als Teil der Unternehmensstrategie gesehen
Eine Strategie, die in Deutschland vielen Unternehmen noch fremd ist. Laut den BCG-Expertinnen und -Experten sehen das Business hierzulande Immigration meist wenn überhaupt nur als CSR-Thema, dem man sich als Arbeitgeber widmet, um gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Für die Wirtschaftsstrategie haben Unternehmen das Thema nicht auf dem Schirm. Der Grund: oftmals werden andere Prioritäten gesetzt, rechtliche Rahmenbedingungen sind unklar oder es besteht Sorge um Sprach- und Kulturbarrieren.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.