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Ghosting: Immer mehr Bewerber tauchen wortlos ab

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Früher standen häufig Unternehmen in der Kritik, die sich bei Bewerbern und Bewerberinnen nicht mehr zurückmeldeten. Nun scheint eine umgekehrte Entwicklung eingesetzt zu haben, das Ghosting geht immer häufiger von Kandidatenseite aus. Das zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Jobplattform Indeed vom August dieses Jahres, an der 400 Recruiting-Beauftragte aus Deutschland teilgenommen haben.

Mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) hat festgestellt, dass Ghosting durch Kandidaten in den vergangenen zwölf Monaten zugenommen hat. Gut ein Fünftel (22 Prozent) stellt keine Veränderung fest und lediglich ein Sechstel (16,3 Prozent) hat einen Rückgang dieses Phänomens registriert. Insgesamt sagen 90 Prozent der Umfrageteilnehmenden und damit die große Mehrheit, bereits Ghosting-Erfahrungen mit Bewerbern und Bewerberinnen gemacht zu haben. Ein Viertel der Befragten (26 Prozent) berichtet, dass dies derzeit mindestens einmal pro Woche geschieht, und rund jeder Zwölfte (acht Prozent) erlebt solche Kontaktabbrüche zu Jobsuchenden sogar täglich.

Bewerber-Ghosting am ersten Arbeitstag

Am häufigsten ghosten Bewerberinnen und Bewerber Arbeitgeber bevor das Vorstellungsgespräch stattgefunden hat (36 Prozent). Aber auch nach dem Interview lassen immerhin 29 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten nichts mehr von sich hören. Überraschend ist auch: Nach einer Jobzusage meldet sich fast jeder Fünfte (18 Prozent) nicht wieder beim Unternehmen. 6,8 Prozent der neu Eingestellten entscheiden sich kurz vor dem ersten Arbeitstag dazu, ihren möglichen zukünftigen Arbeitgeber zu ghosten und erscheinen einfach nicht zum regulären Arbeitsbeginn.

Ob Männer oder Frauen häufiger ihren potenziellen neuen Arbeitgeber ghosten, lässt sich nicht genau sagen. Gut die Hälfte (52 Prozent) der befragten Recruiting-Experten und -Expertinnen stellt keine Geschlechtsunterschiede beim Bewerber-Ghosting fest. Mehr als ein Fünftel (27 Prozent) hat die Erfahrung gemacht, dass sich Kandidaten häufiger wortlos verabschieden, während nur 13 Prozent angeben, dies sei bei Bewerberinnen öfter der Fall.

Egal, wann und von wem das Ghosting geschieht, es wirkt sich negativ auf die Arbeit von Recruiterinnen und Recruitern aus. 60 Prozent berichten, dass ihnen dadurch Arbeitszeit verloren geht. 41 Prozent beschweren sich über unnötige Ausgaben. 35,3 Prozent sagen, dass sich das Ghosting negativ auf ihren Umgang mit dem Fachkräftemangel auswirkt, weil sie anderen Bewerberinnen und Bewerbern absagen, die aber vielleicht auch ein guter Fit wären. Lediglich sieben Prozent fühlen sich von dem Ghosting der Talente nicht negativ beeinflusst.

Dass Kandidatinnen und Kandidaten Arbeitgeber in diesem Ausmaß ghosten, ist eine neue Erfahrung für viele Recruiterinnen und Recruiter – aber eine, die in Zeiten des Fachkräftemangels Sinn ergibt. „Ghosting galt jahrelang hauptsächlich als Ärgernis für Bewerber, die kein Feedback von Unternehmen erhielten. Nun hat sich das Blatt gewendet“, sagt Tim Verhoeven, Recruiting-Experte bei Indeed. Dass Bewerber und Bewerberinnen den Kontakt zu Unternehmen immer häufiger abbrechen, sei nur plausibel, da sich der Arbeitsmarkt in einen Kandidatenmarkt verwandelt habe. Jobsuchende hätten heute häufig die Wahl zwischen mehreren guten Optionen und verfolgten nicht jeden Bewerbungsprozess konsequent bis zum Ende.

Schnelligkeit als Gegenmaßnahme

Was unternehmen die Arbeitgeber gegen den zunehmenden Trend zum Ghosting? Mehr als jeder dritte Befragte (38 Prozent) beschleunigt den Bewerbungsprozess. Fast ebenso viele (37 Prozent) geben ihren Kandidaten und Kandidatinnen nach einem Vorstellungsgespräch (37 Prozent) sowie nach Eingang der Bewerbung (36 Prozent) eine schnellere Rückmeldung. Damit wollen die Unternehmen vor allem verhindern, dass sich Bewerber und Bewerberinnen nach anderen Jobs umsehen und gegebenenfalls zwischenzeitlich bei der Konkurrenz unterschreiben. Außerdem entscheidet sich fast ein Drittel der Recruiter und Recruiterinnen (30 Prozent) für die persönliche Ansprache per Telefon, um Ghosting vorzubeugen.

Dieser Schritt erscheint angesichts der gemachten Erfahrungen mit Kandidaten-Ghosting durchaus sinnvoll: Bei Bewerbern und Bewerberinnen, die nicht mehr geantwortet hatten, verlief die Kommunikation vorher in drei Vierteln der Fälle (74 Prozent) über den unpersönlicheren E-Mail-Weg. Allerdings berichtet auch mehr als jeder zweite Befragte (54 Prozent), Ghosting bei vorherigen Telefonaten erlebt zu haben. Dagegen gibt nur etwa jeder Sechste (15,5 Prozent) an, über soziale Netzwerke mit den Bewerbern und Bewerberinnen kommuniziert zu haben. Offenbar ist die kommentarlose Absprungwahrscheinlichkeit in diesem Fall geringer.

Rund 60 Prozent der Kontaktabbrecher melden sich später erneut

Interessant ist, dass sich sechs von zehn Bewerbern und Bewerberinnen, die sich bei Unternehmen nicht mehr gemeldet hatten, später dort erneut bewerben: Mindestens ein halbes Jahr später einmal zurückgemeldet haben sich laut Befragung rund 40 Prozent und 20 Prozent haben sogar mehrfach wieder Kontakt aufgenommen.

Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.