Ein Thema stand bei der zweiten Ausgabe der Schicht im Schacht in der vergangenen Woche nicht im Vordergrund: Künstliche Intelligenz. Das sei Absicht gewesen, sagte der Erfinder der Konferenz, Marcel Rütten, sinngemäß am Ende eines langen Tages auf der Bühne. Schließlich werde die Technologie mehr und mehr Alltag, während gleichzeitig in vielen Unternehmen die Basics auf der Strecke bleiben.
Statt um Künstliche Intelligenz ging es also unter anderem um Personal Branding, um das Recruiting von IT-Kräften und von Ü-50-Jährigen. Um den Unterschied von Korrelation und Kausalität und darum, was das Recruiting wahlweise von Dagobert Duck oder vom Fußball lernen kann, und um vieles mehr. Hatte vor einem Jahr noch die Arbeit mit Daten im Mittelpunkt gestanden, war es in diesem Jahr schwieriger, einen thematischen Schwerpunkt zu finden.
„Am Anfang zählte die schiere Masse“
Klar: Von den Schwierigkeiten, die richtigen Leute zu finden, und den Wegen, wie es doch funktionieren kann, handelten viele Vorträge. Etwa im Maschinenfoyer, der kleinsten der drei Bühnen, beim Vortrag von Michael Lanzensberger, Head of Tech Reruiting bei Cariad, und Rimma Pitkewitsch, People & Culture Recruiter bei Comspace, zu „neuen Wegen im IT-Recruiting“.
Comspace, eine Digitalagentur mit rund 100 Beschäftigten in Bielefeld, setzt bei der Jagd auf IT-ler auf Lockmittel wie Lebensphasenflexibilität mit einer individuellen Gestaltung des Stundenpensums, Kita-Zuschüsse und Familienevents, berichtete Rimma Pitkewitsch. Der eigentliche Gamechanger sei jedoch die Umstellung auf komplette Freiheit des Arbeitsortes gewesen. Da spielt dann auch der Bielefeld-Faktor und die Konkurrenz zu namhaften Nachbarunternehmen keine Rolle mehr.
Ganz anders dagegen schilderte Michael Lanzenberger seine Problemlage – bei der 2020 gegründeten VW-Tochter Cariad werden die Fachkräfte für Automotive-Software der Volkswagengruppe gebündelt. Bei einem Hiring-Event zum Start seien zwar auf einen Schlag 500 Leute eingestellt worden. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass in der Eile auch viele angeheuert hätten, die nicht passen. „Am Anfang zählte die schiere Masse – jetzt machen wir gezielte Tech-Assessments, damit die Passung stimmt“, so Lanzensberger. Ein früher Auslesefaktor auf der einen und eine Erweiterung der Zielgruppe auf der anderen Seite sei auch die Sprache: Stellenanzeigen würden nur noch auf Englisch veröffentlicht. Ein Spezialproblem des Recruiters: Die Beschäftigten wollten auf der einen Seite sämtliche Annehmlichkeiten des VW-Konzerns mitnehmen, bemängelten aber andererseits das Fehlen von Start-up-typischen Benefits wie Aktienprogrammen für die Beschäftigten.
Dagobert Duck und Linkedin
Christiane Alberts, Head of Conversion & Brand Marketing bei Hey Jobs, sprach in der Punpenhalle darüber, was Recruiterinnen und Recruiter von Dagobert Duck lernen können. Der legendäre Enterich tauge mit seinem „Innovationsgeist und seiner finanziellen Weitsicht“ als Vorbild für Entrepreneure wie auch Investoren. Aufs Recruiting angewandt bedeute die „Entenhausener Methode“, mit einem guten Produkt – dem vakanten Job – durch eine zielgruppengerechte Vermarktung die optimale Verteilung des Budgets zu erzielen. Unter ihren Tipps, wie das funktionieren kann, war unter anderem das jobspezifische Retargeting – was bedeutet, Personen, die sich schon einmal auf einen Job beworben haben oder an irgendeiner Stelle des Bewerbungsprozesses „steckengeblieben sind“, erneut anzuschreiben. „Cookies machen es möglich, Nutzer an dem Punkt in einem digitalen Bewerbungsprozess abzuholen, an dem sie ausgestiegen sind.“
Das wahre geistige Erbe von Geizhals Dagobert Duck besteht für Alberts aber in der Anwendung von Budget-Algorithmen. Ihre Botschaft: Wer seine Stellenzeigen klug über verschiedene Kanäle verteilt, erreicht für das gleiche Budget mehr Zielpersonen und erhält mehr Rücklauf, als wenn nur über einen einzigen Kanal die Anzeigen ausgespielt werden.
Eine andere Methode, an die begehrten Talente zu kommen, nutzt Eduard Bergmann. Der Recruiter ist (vor allem) auf Linkedin das Gesicht des Bürosoftware-Anbieters Orgamaxt. „Personal Branding statt langweiliger Karriereseite“, lautet sein Motto. Bevor der People-&-Culture-Manager des Detmolder Unternehmens mit seiner Personal Branding Kampagne angefangen habe, habe schlichtweg niemand das Unternehmen gekannt und Stellenanzeigen seien wirkungslos verpufft. Heute bekomme das Unternehmen bis zu hundert Bewerbungen monatlich – ohne überhaupt Anzeigen zu schalten.
Wirksames Personal Branding macht sich jedoch nicht von allein: Vier bis fünf LinkedIn-Posts setzt er wöchentlich ab, Texte und Fotos werden professionell erstellt. „Man braucht drei bis vier Themenbereiche, zu denen man sich regelmäßig äußert, um wahrgenommen zu werden.“ Das Wichtigste sei die Unterstützung der Geschäftsführung – und Geduld: „Im ersten Jahr darf man keine Erwartungen haben – es dauert einfach eine Zeit“, sagt Bergmann, der inzwischen mehr als 12.000 Follower hat, und bei dem sich im Anschluss an manch einen Post nach eigener Aussage gleich mehrere Hände voll qualifizierter Bewerber melden. Seine Botschaft: „Traut Euch, auf LinkedIn für Euer Unternehmen aktiv zu sein!“
Gender Pay Gap im Fußball: 97 Prozent
Auf der großen Bühne war es Jannis Tsalikis, Personalchef von Lautsprecher Teufel, der einen besonderen Ansatz vorstellte – dessen Wirksamkeit für das Employer Branding und Recruiting zwar nicht unterschätzt wird, aber doch darüber hinaus geht. Er berichtete darüber, wie sich sein Arbeitgeber zertifizieren ließ, gerechte Löhne zu zahlen. Die Equal Pay Zertifizierung sei ein Mammutprojekt gewesen, der erste Anlauf nicht von Erfolg gekrönt. Nun sei es aber geschafft – und werde regelmäßig in Gesprächen mit Bewerberinnen und Bewerbern von diesen lobend hervorgehoben.
Tsalikis‘ Vortrag – auch beim Praxisforum Total Rewards wird er über das Thema sprechen – entwickelte sich schnell zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr Gehaltsgerechtigkeit. Dafür nahm er vor allem die Männer in die Pflicht. Gerade die anwesenden Personalchefs müssten vorangehen und Gehaltsungerechtigkeiten abschaffen. Dem Einwand eines Zuhörers, dass auch Frauen häufig andere Frauen schlecht bezahlten und behandelten, gestand er zwar zu, dass er nicht ganz falsch sei. „Aber das ist jetzt trotzdem ein sehr männlicher Reflex“, schob er noch nach. Schließlich seien ja faktisch Frauen aktuell nur selten in den entsprechenden Rollen, was schon allein die größere Verantwortung der Männer erkläre. Seinen Vortrag schloss Tsalikis mit einer Zahl. Der Gender Pay Gap im Fußball, so hatte er im Vorfeld recherchiert, beträgt 97 Prozent.
Der Deutschen liebster Sport spielte aber nicht nur bei Tsalikis eine Rolle. Ralf Lanwehr, Professor für International Management an der FH Südwestfalen, erzählte die Geschichte von Thomas Müller, der dem Vernehmen nach bei 7:1 gegen Brasilien bei der Weltmeisterschaft vor zehn Jahren entgegen dem ursprünglichen Plan (und der entsprechenden Vorgabe des Trainers) nach dem 1:0 sein Team antrieb, weiter offensiv zu spielen. Und Martina Voss-Tecklenburg, ehemalige Bundestrainerin der Nationalmannschaft der Frauen, berichtete davon, wie im Fußball Talente gefunden und gefördert werden.
Aus insgesamt 29 Programmpunkten konnten die Gäste der Schicht im Schacht aussuchen, verteilt auf drei Bühnen. Bei einigen – auch der hier erwähnten – hätte etwas mehr Zeit der Tiefe gutgetan. Und während erfreulicherweise, und vom Konferenzmacher Marcel Rütten mit Absicht so ausgewählt, nur wenige Speakerinnen und Speaker aus dem vergangenen Jahr wieder auf der Bühne standen, waren einige der Neulinge auf der Schicht-im-Schacht-Bühne alles andere als Neulinge auf deutschen Recruiting-Veranstaltungs-Bühnen allgemein. Das tat zwar der Qualität ihrer Vorträge keinen Abbruch, an manchen Stellen hätte ein bisschen weniger Bubble dem ganzen aber womöglich gutgetan.
Wobei die Schicht im Schacht natürlich neben allem inhaltlichen auch eines ist: Ein Klassentreffen der Recruiting-Szene in Deutschland. Und als die funktioniert sie mit dem Ruhrpott-Charme und der entspannten Atmosphäre mindestens genauso gut wie als inhaltlich getriebene Konferenz.
Info
Die Personalwirtschaft hat die „Schicht im Schacht“ in diesem wie im vergangenen Jahr als Medienpartner begleitet.
Korrektur: Statt Madeline Timmer von Heyjobs hatte kurzfristig ihre Kollegin Christiane Alberts den Vortrag zur „Entenhausener Methode“ gehalten.