Schon seit Jahrzehnten wird aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung und des demografischen Wandels über die mögliche Gefahr eines Fachkräftemangels diskutiert. Um dazu konkrete und vergleichbare Längsschnittdaten zu erfassen, wurde an der Hochschule Fresenius in enger Zusammenarbeit mit dem HR-Beratungsunternehmen Profil M der Talent Klima Index (TKI) konzipiert, ganz bewusst mit Parallelen zum etablierten ifo-Geschäftsklima-Index.
Seit 2016 wurden in halbjährig durchgeführten Erhebungen insgesamt 1030 HR-Mitarbeitenden, Führungskräften und Top-Entscheidern hinsichtlich der Verfügbarkeit von Talenten auf dem deutschen Arbeitsmarkt befragt. Dabei wird der darin verwendete “Talent“-Begriff recht weit gefasst und bezieht sich auf Fach- und Führungskräfte allgemein. Er fokussiert ausdrücklich nicht die vergleichsweise seltenen sogenannten “High Potentials”. Darüber hinaus bezieht sich der TKI ausdrücklich sowohl auf interne als auch externe Talente, also den internen sowie den externen Arbeitsmarkt, und liefert differenzierte Betrachtungen in Bezug auf beide Zielgruppen des Talent Managements.
Corona führte zunächst zu einem positiven Talentklima
In diesem Zusammenhang ließ sich 2020 zunächst ein deutlicher Einfluss der Corona-Pandemie auf das Talentklima belegen: Erstmals wurde ein aus Sicht der Unternehmen positives Talentklima protokolliert, Fach- und Führungskräfte schienen im Vergleich zur Zeit vor Corona zunehmend
verfügbar zu sein. Doch noch während momentan der gesundheitliche beziehungsweise
gesellschaftliche Umgang mit dem Covid-Virus weiterhin diskutiert wird, machen
sich bei der aktuellen TKI-Umfrage (N = 114) deutlich geänderte Tendenzen auf
dem Arbeitsmarkt bemerkbar.
Die aktuelle Datenerhebung zeigt einen Vorzeichenwechsel seit Einführung des TKI in 2016: Demnach bewegt sich das zwischenzeitlich ins Positive gedrehte Talent Klima wieder in die negative Richtung, sowohl als Mittelwert wie auch in “intern vs. extern”-getrennter Betrachtung. Die zwischenzeitlich erfasste Entspannung setzt sich also nicht fort.
“War-for-Talent” ist zurück
Vereinfacht und zugespitzt ausgedrückt: Der “War-for-Talent” ist also schon jetzt zurückgekehrt.
Neben dem standardisierten und seit 2016 unveränderten Teil der Befragung werden für jeden TKI-Erhebungszeitraum spezifische Forschungsfragen vertieft, aus aktuellem Anlass besonders rund um die “Corona-Auswirkungen”. Für den momentanen Status-Quo zeigt sich dabei, dass
die veränderten Arbeitsbedingungen zusätzliche Belastungen mit sich bringen, die dann insbesondere von den Potenzialträgern getragen werden. Diese wachsen zunehmend über sich hinaus, kommen jedoch auch an ihre Grenzen und erwägen zunehmend, den Arbeitgeber zu wechseln. Daraus resultieren zwei parallele Herausforderungen für Unternehmen: Einerseits eine negative Talentsituation auf dem externen Arbeitsmarkt, vergleichbar der Situation vor der Pandemie, und andererseits die zunehmende Gefahr, bereits vorhandene interne Talente und
Potenzialträger zu verlieren.
Auf Grundlage der erhobenen quantitativen und qualitativen Daten scheinen unter “Corona-Bedingungen” die etablierten Talent Management-Prozesse fortgesetzt zu werden. Eine positive und wichtige Rolle spielt hierbei das Engagement der handelnden Führungskräfte. Insgesamt wird
jedoch der Reifegrad des Talent Managements mit Blick auf die aktuellen und
zukünftigen Herausforderungen oft kritisch eingeschätzt.