Die Einwanderung von Fachkräften ist für die Wirtschaft und die Politik angesichts des demografischen Wandels ein zentrales Anliegen. Gerade erst hat Bundeswirtschaftsminister Habeck auf die Relevanz des Gesetzes hingewiesen.
Um das komplexe Procedere zu vereinfachen, wurde vor knapp einem Jahr, am 18. November 2023, das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) schrittweise eingeführt. Zentraler Punkt des FEG ist unter anderem die sogenannte Anerkennungspartnerschaft, mit der das Verfahren zur Anerkennung einer vorhandenen Berufsqualifikation auch erst nach der Einreise begonnen werden kann. Außerdem haben Menschen mit anerkanntem Berufsabschluss nun mehr Flexibilität beim Zielberuf. Überdies wurde das Kontingent der Westbalkanregel verdoppelt. Im Juni dieses Jahres trat außerdem die dritte und letzte Stufe des FEG in Kraft. Mit ihr wurde die sogenannten „Chancenkarte“ für ausländische Fachkräfte eingeführt.
FEG: Durchwachsene Bilanz
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat ein Jahr nach dem Inkrafttreten der ersten Stufe des Gesetzes nun eine vorläufige Bilanz gezogen. Kurz gesagt, fällt sie durchwachsen aus. „Für eine vollständige Bilanz ist es noch zu früh, dennoch sind positive Impulse erkennbar“, erklärte Vanessa Ahuja, Vorständin Leistungen und Internationales der Bundesagentur für Arbeit. „Die Beratungen von zuwanderungsinteressierten Menschen im Ausland und die ordnungspolitischen Arbeitsmarktzulassungen sind auf neue Rekordwerte gestiegen. Deutschland wird für ausländische Fachkräfte interessanter.“
Tatsächlich ist die Zahl der Beratungen von im Ausland lebenden Fach- und Arbeitskräften binnen eines Jahres um 68.000 auf 233.000 im Jahr 2023 angestiegen. Auch die Zahl der Zustimmungen zu Aufenthaltstiteln wuchs: Von Januar bis September 2024 wurden nach Angaben der BA 172.261 Zustimmungen zu Aufenthaltstiteln erteilt. Das ist allerdings lediglich ein Anstieg von 6.854 beziehungsweise etwa 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Eine weitere Facette des FEG ist die sogenannten Westbalkanregelung. Das Zuwanderungskontigent wurde von 25.000 auf 50.000 verdoppelt. Laut BA-Bilanz muss die Bearbeitung der Arbeitsmarktzulassungsanfragen jedoch zurückgestellt werden, da die Bearbeitungskontingente der Visastellen bereits ausgeschöpft sind.
Die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir zum Anlass genommen, um bei der BA genauer nachzufragen, wo die Knackpunkte beim FEG sind. Geantwortet hat eine Sprecherin der Bundesagentur.
Personalwirtschaft: Gibt es Berufe, bei denen die Anerkennung besonders schwierig ist?
Besonders in Berufen, in denen neben der Anerkennung der Qualifikation noch eine Berufszulassung notwendig ist, kann zwischen erster Antragsstellung und Aufnahme einer Tätigkeit als Fachkraft einige Zeit vergehen. Im medizinischen Bereich kann dies unter anderem länger dauern, da neben der Anerkennung beispielsweise auch noch Fachsprachkenntnisse nachgewiesen werden müssen.
Wer führt die Beratungen zuwanderungsinteressierter Menschen im Ausland eigentlich durch?
Unsere Kolleginnen und Kollegen im „Customer Center“ der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) beraten Einwanderungsinteressierte, die sich bei der BA melden. Im vergangenen Jahr wurden 233.000 im Ausland lebende Menschen virtuell beraten, die an einer Arbeit in Deutschland interessiert sind. Das waren schon deutlich mehr als in den Jahren zuvor. In diesem Jahr haben wir den Jahreswert des vergangenen Jahres bereits Ende August erreicht. Im „Customer Center” werden grundsätzlich alle Menschen beraten, die sich bei uns melden – ohne Fokus auf bestimmte Länder.
Gibt es Länder, die für Deutschland im Hinblick auf Erwerbseinwanderung besonders im Fokus sind?
Für die Strategie des internationalen Geschäfts, um unter anderem als Wegbereiter für die verstärkte Erwerbsmigration aus Drittstaaten nach Deutschland einen Beitrag zu leisten, haben wir geeignete Fokusländer definiert. In diesen Ländern sehen wir besonderes Potenzial und werden gezielt tätig: Wir machen „Werbung“ für das Arbeiten in Deutschland, vereinbaren bilaterale Abkommen zur Arbeits- und Fachkräftezuwanderung mit den Fokusländern oder starten Modellprojekte.
Welche Länder sind das?
Dazu gehören diese 13 Länder: In Lateinamerika sind es Brasilien, Kolumbien, Mexiko und Ecuador. In der MENA-Region Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien. In Subsahara-Afrika ist es Ghana und in Asien sind das Indien, Indonesien, Philippinen und Usbekistan.
Bewegt sich der Anstieg der Aufenthaltstitel in der erstrebten Größenordnung?
Für eine Bewertung ist es noch zu früh. Allgemein gilt: Aus der Begründung des Gesetzes und der Verordnung zur Fachkräfteeinwanderung ergibt sich eine zu erwartende Zuwanderungssteigerung in Höhe von circa 130.000 Aufenthaltstiteln jährlich. Die neuen beziehungsweise erweiterten Aufenthaltstitel sind zum Teil erst seit Juni 2024 in Kraft. Die Wirkung der neuen Regelungen kann erst nach einigen Monaten bewertet werden, die immer nötig sind, damit die Regelungen bekannt werden und zum Beispiel auch Betriebe erst einmal Beschäftigte aus Drittstaaten auf der Grundlage der Neuregelungen gewinnen können. Daher muss die weitere Entwicklung zunächst abgewartet werden.
Zu den Westbalkanländern: Welches sind die Hauptherkunftsländer und wo übersteigt die Nachfrage das Kontigent?
Ein Großteil der Personen, die über die Westbalkanregelung einreisen, stammen aus dem Kosovo und Albanien. Für diese Länder übersteigen die Zustimmungsanfragen das für das Jahr 2024 vorhandene Kontingent. Eine Erhöhung des Kontingents wird in der Wachstumsinitiative der Bundesregierung vorgeschlagen. Augenblicklich liegt die Aufgabe bei der Bundesregierung, aus den Aussagen der Wachstumsinitiative konkrete Gesetzesvorhaben abzuleiten. Die BA wird sich inhaltlich in den Gesetzgebungsprozess einbringen und hierauf Stellung nehmen, wenn entsprechende gesetzliche Regelungen vorgeschlagen werden.
Gibt es von Seiten der Bundesagentur für Arbeit Verbesserungsvorschläge für die Fachkräfteeinwanderung?
Insgesamt wirken die ersten Impulse durch das novellierte FEG, doch die Zuwanderung ist noch immer hochgradig komplex. Die Bürokratie ist weiterhin hoch und die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Partnern können, etwa bei der Digitalisierung aber auch den Zeitschienen, verbessert werden.
Was ist sonst noch erforderlich, um die Einwanderung von Fachkräften zu verbessern?
Eine realistische Erwartungshaltung bezüglich der Kompetenzen ausländischer Fachkräfte: Fachliche Spezialkenntnisse des deutschen Arbeitsmarktes können nicht verlangt werden, hier braucht es aufbauende Qualifizierungen. Bei Unternehmen braucht es ein Bewusstsein über notwendige Investitionen in die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zum Beispiel aufbauende Sprachkurse.
Gesamtgesellschaftlich ist eine gelebte Willkommenskultur wichtig. Für eine gelungene Integration können zum Beispiel folgende Maßnahmen hilfreich sein:
- ein Patensystem zur Einarbeitung
- Informationen zu Kultur und Struktur des Landes
- Unterstützung bei Themen wie Unterkunft in den ersten Monaten
- Erledigung von Formalitäten
- Unterstützung beim Familiennachzug
- Hilfe bei der Suche eines Kindergartenplatzes
In der Bilanz zur Einführung des FEG wurde seitens der BA Handlungsbedarf bei Bürokratie und Schnittstellen attestiert. Der Zuwanderungsprozess sei weiterhin „kompliziert und vielfach zu langsam“. Was wird dagegen konkret unternommen?
Die BA legt ihren Fokus darauf, die Prozesse zwischen den Behörden noch weiter zu verbessern. Sie hat ihre IT in den letzten zwei Jahren erheblich ausgebaut, beispielsweise können Anträge auf Arbeitsmarktzulassungen von Betrieben online mit strukturierten Daten gestellt werden. Auch die BA-Entscheidungen ergehen auf dem elektronischen Weg: Das betrifft die Ablage im Ausländerzentralregister und Information der Arbeitgeber im Arbeitgeberportal im Internet. Die Zusammenarbeit mit den Visastellen wurde mit einem Verbindungsbüro zwischen BA und dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, das im September 2023 eingerichtet wurde, intensiviert. Die BA bringt auch Verbesserungsvorschläge in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden ein, diese richten sich insbesondere auf einen weiteren Ausbau digital gestützter Prozesse, beispielsweise im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters.
Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.