Muss eine IT-Recruiterin eigentlich fließend die Programmiersprache C++ können? Muss der Gehaltsabrechner in der Chemiebranche das Periodensystem kennen? Und braucht man als Personalsachbearbeiter in der Autobranche einen Führerschein? Oder funktioniert die Personalarbeit gänzlich unabhängig von der jeweiligen Branche?
Die Fragen – so viel ist sicher – lassen sich nicht definitiv mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Das zeigen auch die zahlreichen Antworten, die wir zu diesem Thema auf Linkedin und per E-Mail bekommen haben. Niemand würde zwar widersprechen, wenn man Fach- und Branchenkenntnisse als wünschenswert bezeichnete. Zwingend erforderlich sind sie allerdings nicht aus Sicht von Jedem und Jeder. „Eine Personalerin oder ein Personaler kann und muss in jedem Umfeld bestehen, das macht uns aus“, schreibt etwa Alex Weitz, bis vergangenen Sommer Site HR Director bei Alstom. Dem würde wohl auch Tim Verhoeven, Recruiting-Experte bei indeed, zustimmen. Er selbst hat schon in zahlreichen Branchen gearbeitet, vom prodzierenden Mittelstand bis zur Unternehmensberatung. „Das, was du an HR-Know-how mitbringen musst, ist viel mehr als das, was du an Industrie-Spezifika lernen musst.“ Ihm ist allerdings bewusst, dass das nicht Jeder so sieht. „Jede Industrie sieht sich als soooooooo speziell an, dass darauf in der Praxis oft geachtet wird“, kritisiert er. Damit schmälere man allerdings das Standing guter HR-Arbeit.
„Hilfestellung für Führungskräfte sein“
Auch Mathias Aldorf, Expert HR Governance bei E. Breuninger, hält Vorkenntnisse für „immer gut, aber auf keinen Fall zwingend notwendig.“ Jedenfalls dann, wenn es sich um einen Corporate Recruiter handelt, der die Vorstellungsgespräche in der Regel mit einem Experten oder einer Expertin der jeweiligen Fachabteilung führt. „Bei Recruiterinnen und Recruitern von einem Personaldienstleister sehe ich das schon eher als notwendig, um letztlich auch im ersten Gespräch begeistern und Fragen beantworten zu können.“
Programmieren jedenfalls müssen auch IT-Recruiter wohl nicht können. Wenn sie das könnte, wäre sie Softwareentwicklerin geworden, schreibt Sandra Wagener, Recruiting Director bei itemis. „Was aber wichtig ist: Eine enge und gute Zusammenarbeit mit den Personen, die tatsächlich programmieren können, damit man dem Bewerber oder der Bewerberin im Zusammenspiel einen qualitativ hohen Bewerbungsprozess sowohl auf fachlicher Ebene als auch auf HR-Ebene gewährleisten kann.“
Dem stimmt Dominik Josten, Director Marketing beim HR-Softwaredienstleister Empleox, zwar zu, er wünscht sich aber mehr HRler, die auch eine fachliche Eignung beurteilen können. Wobei er hier nicht die Code-Qualität meint. „Aber zu gutem Programmieren gehört ja viel mehr, als die richtigen Befehle zu kennen“, schreibt er. „Das sollte HR zu einem gewissen Grad beurteilen können, um auch Hilfestellung für Führungskräfte zu sein.“ Das heißt, Personalerinnen und Personaler sollten wissen, was einen guten Programmierer ausmacht.
Fachwissen kann man sich aneignen
Jessica Stoll, Expertin für Marketing & Recruiting bei der invivo Group, glaubt ebenfalls, dass sie mit Bewerbern wie Hiring Managern gezielter kommunizieren und arbeiten kann, wenn sie versteht, worauf es fachlich ankommt. Sie ist sich aber sicher, dass es auch viele Recruiter gibt, die ihren Job ganz ohne besondere Affinität oder einen Bezug zur Branche super machen. „Worauf die Nähe zur Branche, allerdings einen sehr großen Einfluss hat, ist die Bindung zum Unternehmen“, schränkt sie ein. „Wenn ich als HRler das Produkt oder die Leistung meines Unternehmens liebe, fühle ich mich meinem Unternehmen sehr viel stärker verbunden, als ohne Bezug.“
Dem stimmt Florian Grösch, Senior Expert Recruiting Solutions bei Raven51. „Wer die Autoindustrie nicht mag, weil er Autos nicht mag, dürfte dort auch in einer HR-Position nicht über längere Zeit glücklich sein“, schreibt er bei Linkedin. Das abzufragen könne tatsächlich nicht schaden. „Allerdings sollte es niemals ein Einstellungskriterium sein, ob jemand ein Auto reparieren oder einen funktionierenden Code programmieren kann, wenn man einen IT-Recruiter oder einen HRler in der Automobilindustrie sucht.“
Dazu kommt: Fachwissen kann man sich aneignen, worauf auch Elise Müller, Vice President People & Culture beim Software-Unternehmen Spryker hinweist. „Ich selbst beispielsweise hatte vor meiner Zeit bei Spryker kein Software-Wissen, habe aber gerade am Anfang sehr viel Zeit mit den Mitarbeitenden verbracht und Fragen über Fragen gestellt“, erinnert sie sich. „Was man aber braucht, ist ein grundlegendes Verständnis von Businesses und Interesse für das, was das Unternehmen macht.“
Unterschiedliche Wahrnehmung
Möglicherweise ändern sich an dieser Stelle aber auch die Anforderungen an Recruiterinnen und Recruiter. Wenn es in Zeiten des Fachkräftemangels immer schwieriger wird, Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, rücken sie immer mehr in den Mittelpunkt. „Recruiterinnen und Recruiter werden zu den wichtigsten Markenbotschafterinnen und -botschaftern eines Unternehmens, sie sind der erste persönliche Touchpoint“, sagt Robin Sudermann, der das HR-Start-up talentsconnect mitgegründet hat und führt. „Das darf nicht nur ein CV-Check sein, sondern es muss ein inhaltlich spannendes Gespräch mit echtem Mehrwert werden.“
Die Frage, wie wichtig Fach- und Branchenkenntnisse und ein echtes Interesse für die Arbeit in der Personalabteilung ist, muss wohl jedes Unternehmen – und jede Personalerin und jeder Personaler – für sich entscheiden. Wie unterschiedlich die Wahrnehmung ist, zeigt nicht nur die Diskussion auf Linkedin, sondern auch die Erfahrungen, die Rolf Bonke, Head of HR bei Peter Jensen, dort schildert. „Ich bin bisher durch mein Berufsleben als Personaler in sehr verschiedenen Branchen gekommen und habe persönlich nicht festgestellt, dass ich dadurch Probleme hatte meine Arbeit gut zu erledigen“, schreibt er. „Dennoch stelle ich aktuell bei meiner Neuorientierung fest, dass mir gesagt wird ich hätte leider keine Branchenerfahrung und käme daher nicht in Frage.“
Info
Weitere Stimmen finden Sie unter diesem Post bei LinkedIn – wo Sie natürlich gerne auch mitdiskutieren können.
Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit dem Berufsbild HR und Karrieren in der Personalabteilung sowie mit Personalberatungen. Auch zu Vergütungsthemen schreibt und recherchiert er.