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Wie steht es um das Recruiting im Öffentlichen Dienst? 

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Mehr als fünf Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für Bund, Länder, Kommunen oder öffentliche Einrichtungen. Ihnen und ihren Kolleginnen und Kollegen weltweit ist der internationale Tag des Öffentlichen Dienstes gewidmet, der am 23. Juni 2024 stattfindet. Damit ist der Staat zwar der größte Arbeitgeber der Nation – trotzdem hat er akute Personalsorgen. Nach Schätzungen des dbb, Beamtenbund und Tarifunion, fehlen aktuell mehr als 550.000 Beschäftigte. 

Über die Recruitingarbeit für den Öffentlichen Dienst spricht Dr. Britta Rottbeck, Abteilungsleiterin Personal und Politische Planung der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen.  

Personalwirtschaft: Frau Rottbeck, das sukzessive Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsleben betrifft alle Arbeitgeber – was bedeutet die Entwicklung für den Öffentlichen Dienst? 
Britta Rottbeck: Der demografische Wandel und die Veränderungen am Arbeitsmarkt treiben uns alle um. Unser Ziel ist es, Menschen für den Öffentlichen Dienst zu interessieren und zu gewinnen. Dabei suchen wir als Landesregierung nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, Juristinnen und Juristen, sondern auch Assistenzkräfte und viele weitere Berufsprofile.  

Dr. Britta Rottbeck, Abteilungsleiterin Personal und Politische Planung der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. (Foto: Land NRW / Dunst)

Der Öffentliche Dienst bildet auch aus.  
Genau, wir bieten Ausbildungen und duale Studiengänge zum Berufseinstieg an, beispielsweise im Bereich der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger oder als (Diplom-) Finanzwirtin beziehungsweise (Diplom-) Finanzwirt in der Finanzverwaltung. Insgesamt ist die Gewinnung von Mitarbeitenden eine große Aufgabe, an der wir als Landesregierung übergreifend zusammenarbeiten. Und sie ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, denn der Fachkräftemangel betrifft nicht nur uns als Landesregierung. Umso wichtiger ist es, dass wir frühzeitig in Bildung und Ausbildung investieren. Darauf legen wir als Landesregierung einen Fokus.  

Rekrutiert jeder Bereich und jede Behörde oder Kommune für sich oder gibt es landesweit übergreifende Strukturen für das Recruiting? 
Auf dem Online-Portal karriere.nrw werden Stellenangebote im gesamten Landesdienst, auch bei Kommunen, Kreisen und Bezirksregierungen, veröffentlicht. Das gibt Interessierten einen sehr breiten Überblick. Viele Ressorts haben aber auch eigene Anforderungen und Profile.  

Wie sieht es mit Lehrkräften aus? 
Das Schulministerium sucht gezielt nach Lehrerinnen und Lehrern. Nach den aktuellen Erhebungen konnten wir allein in den letzten anderthalb Jahren über 7.000 Menschen neu an unsere Schulen bringen – darunter 5.600 zusätzliche Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Schulpsychologinnen und -psychologen und über 1.500 Alltagshelferinnen und Alltagshelfer. Das zeigt: Es ist wichtig, dass Ressorts mit großen eigenen Personalkörpern gezielt eigene Kampagnen machen.   


Hilft die gegenwärtig wirtschaftlich schwierige Situation, weil Sicherheit des Arbeitsplatzes plötzlich wieder eine relevante Rolle spielt und damit der Öffentliche Dienst als Arbeitsstäte attraktiver wird?  
Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist sicherlich ein relevanter Faktor für die Arbeitgeberattraktivität. Wir erleben in Auswahlgesprächen zudem sehr häufig, dass neben der Sicherheit auch der Sinn der Arbeit entscheidend ist. Der Gedanke, etwas zur Gemeinschaft und zum Gemeinwohl beizutragen, treibt viele Menschen an, sich bei uns zu bewerben. Als Öffentlicher Dienst dürfen wir uns darauf aber nicht ausruhen. Wir konkurrieren im Arbeitsmarkt, daher bemühen wir uns intensiv um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Themen wie „New Work“ sowie um die Gesundheit am Arbeitsplatz, um nur einige Punkte zu nennen. 

Kann der Öffentliche Dienst auch von den derzeitigen Restrukturierungswellen in vielen großen Unternehmen profitieren?  
Generell sind wir an qualifizierten neuen Mitarbeitenden interessiert, egal ob sie vorher in einem Unternehmen, der Wissenschaft oder in einem ganz anderen Bereich tätig waren. Die Vielfalt unserer Neueinstellungen zeigt, dass wir viele neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen können, die insbesondere über Online-Stellenanzeigen auf uns aufmerksam geworden sind. Nicht zu unterschätzen ist jedoch nach wie vor die Empfehlung aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder von Familienmitgliedern, die bereits im Öffentlichen Dienst tätig sind.   

Was bringt junge Menschen dazu, sich den Staat als Arbeitgeber auszusuchen? 
Junge Menschen suchen heute sinnstiftende Tätigkeiten, die Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Das bezieht sich zum einen auf die Inhalte der Tätigkeiten, zum anderen aber auch auf die Rahmenbedingungen der Arbeit wie mobile Arbeitsformen und flexible Arbeitszeiten.  

Haben öffentliche Arbeitgeber den Luxus, zwischen Bewerbenden auswählen zu können, weil sich immer noch zahlreiche Talente im Öffentlichen Dienst bewerben?
Diese Zeiten sind vorbei. Es geht vordringlich darum, dass Anforderungen und Erwartungen aus Arbeitgeber- und Mitarbeitenden-Sicht zueinander passen.  

Die Polizei NRW hat in den vergangenen Jahren mit großen Kampagnen etwa über Social Media-Kanäle oder Plakataktionen sehr professionell um Nachwuchs geworben – hat sie damit Vorbildfunktion?  
Insbesondere für die Nachwuchsgewinnung der Polizei wurde in den letzten Jahren viel getan, weil die gute personelle Ausstattung der Polizei hohe Priorität hat. Vergleichbar professionelle Strategien werden auch in der Finanzverwaltung, der Justiz und im Schulbereich verfolgt. Das ist auch für andere Bereiche beispielgebend. Dabei sind natürlich immer auch die speziellen Anforderungen der sehr unterschiedlichen Stellen zu berücksichtigen.  

Der digitale Umbau der Verwaltung braucht entsprechende Fachkräfte – wo sollen die herkommen?  
Wir brauchen Menschen mit Digitalkompetenzen. Ein Beispiel: Nordrhein-Westfalen hat mit dem neuen dualen Studiengang Verwaltungsinformatik eine interessante Option eröffnet, um Menschen diese Digitalkompetenzen zu vermitteln. Durch interne Qualifizierungen, wie den „Operative Professional“, werden Beschäftigten Weiterentwicklungsmöglichkeiten angeboten. 

Mit welchen Vorzügen punktet der Öffentliche Dienst gegenüber Arbeitgebern aus der Wirtschaft? 
Wir bieten verlässliche Rahmenbedingungen. Überstunden werden in der inneren Verwaltung fair erfasst und abgegolten. Niemand muss um sein Gehalt verhandeln, Frauen und Männer werden gleich bezahlt. Darüber hinaus stehen den Mitarbeitenden starke Personalvertretungen zur Seite. Fortbildungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten werden zudem nach Tarifverträgen und beamtenrechtlichen Regelungen kostenfrei und in der Arbeitszeit angeboten. Die Fürsorge des Arbeitgebers durch aktives Gesundheitsmanagement gehört ebenso zu den Standards wie Unterstützungsangebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Rückkehrrecht nach einer Familienpause auch über die Elternzeit hinaus ist fest verankert – auch mit der Option, befristet nur in Teilzeit zu arbeiten und danach wieder eine volle Stelle zu übernehmen. Die Größe und Vielfalt des Öffentlichen Dienstes bietet die Chance, sich beruflich zu verändern, ohne den Arbeitgeber wechseln zu müssen.  

Wo hat Vater Staat eine Vorbildfunktion für andere Arbeitgeber? 
In diesem Jahr wird das Landesgleichstellungsgesetz 25 Jahre alt. Die Gleichstellung von Frauen hat eine lange Tradition in unserem Land. Selbstverständliches Ziel im Öffentlichen Dienst ist die paritätische Besetzung von Stellen – auch und gerade in Führungsfunktionen – mit Frauen und Männern. Gerade erst hat das Land die Inklusionsrichtlinie neu gefasst, um die gesetzlichen Standards zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen näher zu konkretisieren und die Sicherung ihrer Rechte – schon in den Auswahlverfahren – für den Landesdienst zu stärken. Durch konkrete Inklusionsvereinbarungen in den Dienststellen, Beauftragte sowie starke gewählte Vertretungen der schwerbehinderten Menschen wird sichergestellt, dass deren behinderungsbedingte Beeinträchtigungen im Berufsleben so weit wie möglich berücksichtigt und ausgeglichen werden.  

Und wie sieht es mit kultureller Vielfalt aus? 
Die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung ist ein wichtiges Anliegen, das schon seit einigen Jahren interministerieller Arbeitsschwerpunkt ist. Interkulturelle Kompetenz ist eine wichtige Schlüsselkompetenz für die Arbeit in der Verwaltung. Zur Sicherung der Kulturfairness von Auswahlverfahren wurden zudem ressortübergreifende Standards erarbeitet und die Verfahren danach überprüft. 

Der Öffentliche Dienst ist stark reglementiert – sind starre Einstellungsvoraussetzungen in Zeiten des Fachkräftemangels noch realitätsnah?  
Eine faire Personalauswahl und die Überprüfbarkeit von Einstellungsverfahren ist ein bedeutsamer grundgesetzlich abgesicherter Standard. Das schränkt die Flexibilität der Anforderungsdefinition nicht ein. Soweit dies – auch unter rechtsstaatlichen Grundsätzen – vertretbar ist, werden schon seit einigen Jahren flexible Möglichkeiten eröffnet. Ein konkretes Beispiel sind die Seiteneinstiege mit verschiedenen Qualifizierungen, die für Lehrkräfte an Schulen ermöglicht werden. Das Ziel der angestrebten Modernisierung des Laufbahnrechts ist es, die Vorgaben auch im Beamtenrecht zu flexibilisieren. So soll nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes auf dem Arbeitsmarkt und die Flexibilität und Eigenverantwortung der Personalstellen gefördert und rechtliche Hindernisse bei der Karriereentwicklung beseitigt werden, sondern auch die Durchlässigkeit und der Quereinstieg in die Laufbahnen gefördert werden. 

Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.