Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

1992: Besserwessis unerwünscht 

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Die Personalwirtschaft ist seit 50 Jahren ein Fachmagazin, das sich mit allen erdenklichen Fragen rund um das People Business auseinandersetzt. Sie ist dabei ein Abbild der jeweiligen Zeit, denn auch in dieser Nische spiegelt sich das Große im Kleinen. In Umbruchsituationen ist das besonders auffällig: Die frühen 1990er Jahre standen ganz im Zeichen der Wiedervereinigung, denn mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 ging nicht nur eine politische Ära zu Ende. Auch das sozialistische Wirtschaftssystem wurde abgewickelt – mit epochalen Umwälzungen für die Arbeitswelt im Allgemeinen und alle „Werktätigen“, wie die Beschäftigten im DDR-Jargon hießen, in den neuen Bundesländern. 

 

Dauerbrenner des Jahres: Deutsch-deutsche Entwicklungen

In der Personalwirtschaft des Jahres 1992 werden – immer schön aus West-Perspektive – wiederholt Fragestellungen erörtert, die damit zusammenhängen.  

Dies beginnt im Februar unter der Überschrift „Besserwessis unerwünscht“ mit dem Tipp von Armin Maurer, dem Geschäftsleiter eines Catering-Betriebes, der auch in den neuen Bundesländern eine „marktführende Rolle“ übernommen hatte. „Allen westlichen Managern kann man nur anraten, nicht als Besserwisser aufzutreten, sondern sich durch persönliche häufigere Anwesenheit in den neuen Bundesländern und entsprechenden Gesprächen das Vertrauen zu erwerben (nicht durch Präsente zu erkaufen). 

Der “Besserwessi” ist eine Bezeichnung, die heute weitgehend ausgestorben ist. Foto: Personalwirtschaft

 Im Juni etwa geht es dann um den Einsatz westdeutscher Mitarbeiter in Tochtergesellschaften in der ehemaligen DDR. Bezeichnenderweise trägt der Artikel die Überschrift: „Auslands“-Einsatz.“ Die Warnung von Ewald Scherm von der Universität Regensburg: „Dieser Vorgang darf nicht, nur weil er innerhalb der (neuen) Grenzen eines Landes abläuft, als alltägliches Ereignis abgetan werden, wie dies etwa Versetzungen in den alten Bundesländern sind.“ Wer die Probleme verdränge, schade sich, den Mitarbeitern und belaste die Wiedervereinigung. Ein deutsch-deutscher Einsatz, so lautet die These des Autors, sei einer Auslandsentsendung ähnlicher als einer inländischen Versetzung.  Grund dafür seien die immensen Unterschiede zwischen west- und ostdeutscher Arbeitskultur: Kulturell bedingte Wertvorstellungen, soziale Beziehungen und Bindungen, der Stand von Technik und Organisationsstrukturen sowie die Beziehungen zu externen Interaktionspartnern.  

Auch der damalige Chefredakteur der Personalwirtschaft, Franz Langecker, setzt sich im August-Editorial mit der Situation auseinander. „Die Bundes- und Landesregierungen transferieren in diesem Jahr 180 Milliarden DM in die neuen Bundesländer, dazu kommen 45 Milliarden DM Privatinvestitionen. In spätestens zwei Jahren muss der Finanzminister die 250 Milliarden Treuhand-Schulden übernehmen, dabei sind die Altschulden der ehemaligen DDR noch nicht mitgerechnet. Kenner sagen, der Aufschwung Ost läuft nur von außen, nicht aber von innen. Am Geld allein scheint es nicht zu liegen. Es fehlen einfach Perspektiven, Visionen, Führung und Motivation.“  

Wie der der Zusammenbruch des Staates sich auf die Psyche der DDR-Führungskräfte und Fragen Personalplanung auswirkte, analysiert Frank D. Peschanel in der Augustausgabe. Dafür erstellt er zunächst ein Psychogramm ostdeutscher Führungskräfte. Ihre wichtigste Aufgabe sei es gewesen, Vermittler des ideologisch „einzig richtigen gesellschaftlichen Bewusstseins in die Welt der Arbeit gemäß den Richtlinien der Partei“ zu sein. Betriebswirtschaftliche Leistungsforderungen und -kontrollen oder Kostenbewusstsein hätten bei DDR-Managern unter dem Stichwort „Kollegialität“ einfach nicht stattgefunden. „Die Situation ist inzwischen in der Außenwelt aber ersatzlos abgeschafft worden – aber sie lebt in der Innenwelt der Mitarbeiter und Führungskräfte andauernd fort.“ 

Zahl des Jahres: 13 Prozent Teilzeitquote

 Norbert Blüm (CDU), seines Zeichens Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, ist in der Jahresendausgabe mit einem Gastbetrag prominent vertreten. Der Minister schreibt über die Bedrohung des Standortes Deutschland durch die geringen Maschinenlaufzeiten. Der Politiker wirbt für flexiblere Arbeitszeiten und Schichten, die es ermöglichen würden, deren Nutzungspotenziale deutlich zu erhöhen. Zu einer “intelligenten Arbeitszeitgestaltung gehört auch der Ausbau von Teilzeitbeschäftigung”, schreibt Blüm. In Deutschland betrage die Teilzeitquote rund 13 Prozent, in den USA dagegen fast 18 Prozent und in den Niederlanden sogar 30 Prozent. 

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr verzeichnete das Statistische Bundesamt in Deutschland eine Teilzeitquote von 30,2 Prozent aller Beschäftigten – jede zweite Frauen und jeder achte Mann hatten einen Teilzeitjob.

Tier des Jahres: Der Specht

Jenseits der Nachwehen der Wiedervereinigung gibt es natürlich auch andere Themen, die die Personalwirtschaft 1992 aufgreift. Unter der Überschrift „Ihr Unternehmen – ein Käfig voller bunter Vögel“ dekliniert der Personalmanagement-Berater Kuno Schedler verschiedenen Mitarbeitertypen er durch. Da ist die Elster, die Ideen und Konzepte klaut und als eigene Inspirationen ausgibt. Der Kuckuck vertraut seine Ideen anderen an, die sie dann ausbrüten dürfen. Lieblingsvogel des ornithologisch angehauchten Autors ist der Specht – dieser ist in seiner Nomenklatur der Intrapreneur, der sich durch die harte Rinde der Bürokratie durchhackt, um seine Visionen zu verwirklichen. 

(Schlechter) Witz des Jahres

Schlechte Witze auf Kosten von Frauen wurden 1992 noch toleriert. Lustig waren sie auch damals nicht. Foto: Personalwirtschaft

Vor dem Schreibtisch des Chefs sitzt mit zusammengefalteten Händen und entgeistertem Blick eine Mitarbeiterin. Unter dem Cartoon findet sich diese Zeile: „Ihre Beförderung besprechen wir am besten bei einem Kaffee, Frau Swoboda. Meinen wie immer schwarz ohne Zucker.“ 
Solche dümmlichen Jokes erlaubt sich (hoffentlich) heute kein Vorgesetzter mehr! 

Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.