Kleinteilige Gradings, Boni und Co stehen in der Vergütungsdiskussion oft im Mittelpunkt. Doch immer häufiger stellen Unternehmen bei der Überarbeitung ihrer Entgeltstrukturen fest, dass sie eine Frage neu beantworten müssen: Was bedeutet eigentlich Leistung in unserer Organisation? Nils Prüfer, Managing Director und Partner bei Kienbaum Consultants International, erläutert im Interview, wie ein gutes Performancemanagement Transparenz und Vergütungsgerechtigkeit unterstützt.
COMP & BEN: Stimmt der Eindruck, dass die Mehrheit der Unternehmen aktuell ihre Vergütungsmodelle modernisiert?
Nils Prüfer: Das trifft durchaus zu. Wir erleben eine große Dynamik aus unterschiedlichen Anlässen: Zum Beispiel gibt es Organisationen, die seit Jahrzehnten alte Gehaltsmodelle administrieren und nun ein Update vornehmen. Sie wollen weg von Einzelfalllösungen, von intern gewachsenen und undurchsichtigen Strukturen zu klar nachvollziehbaren und erklärbaren Systemen. Oder aber schnell wachsende Start-ups und Scale-ups stoßen an die Grenzen bisheriger Gehaltsstrukturen und müssen sich mit der Professionalisierung ihrer RewardStrukturen beschäftigen. Größere Unternehmen transformieren seit einigen Jahren ihre Vergütungsmodelle, weil sie ihre Geschäftsstrategie geändert haben. Ganze Branchen wie Energie, Automotive, Versicherungen oder Handel befinden sich im Wandel, was auch eine Neuaufstellung oder Justierung ihrer Gehaltsstrukturen erforderlich macht.
Also ein permanenter Beta-Zustand …
… der einen weiteren Push durch KI-Lösungen erhalten wird. Wir rechnen damit, dass sich beispielweise erforderliche Rollen, Anforderung an diese und Mengengerüste grundsätzlich verändern werden. Die Vergütungsverantwortlichen werden schneller reagieren müssen, zudem entfaltet KI seine Wirkung branchenübergreifend.
Welche Rolle spielt bei der Modernisierung beispielsweise die Novellierung des Entgelttransparenzgesetzes, der Wunsch nach mehr Transparenz und Fairness oder die Schaffung von Vergütungsanreizen für Talente? Können Sie ein Ranking der Motive erstellen?
Gesetze und Regulatorik wirken oft als eine Art Treiber, aber sie stellen eigentlich nur ein notwendiges Minimum dar. Sie erhöhen den Druck auf Unternehmen und wecken auch diejenigen aus dem Tiefschlaf, die ihre Vergütungspolitik seit Jahren nicht angefasst haben. Wenn ich eine Reihenfolge der Motive aufstellen müsste, dann sehe ich an erster Stelle unternehmensstrategische Gründe wie Wachstum oder auch Restrukturierung aufgrund einer herausfordernden wirtschaftlichen Lage. In diesen Fällen passen Geschäftsmodell und Vergütungsstrukturen einfach nicht mehr zusammen. Annähernd auf gleicher Ebene rangieren die externen Rahmenbedingungen rund um Inflation, ESG inklusive Equal Pay. Insbesondere im börsennotierten Umfeld spielt der Einfluss von Investoren und Proxy Advisors eine wichtige Rolle, die klare Erwartungen an Unternehmen formulieren und Konsequenzen im Stimmrechtsverhalten ziehen. Die genannten Faktoren überschneiden sich teilweise mit geänderten Wertegerüsten von Arbeitnehmenden. Sie erwarten mehr Gehaltstransparenz und fordern Klarheit, wie sie am unternehmerischen Erfolg beteiligt werden oder wohin sie sich entwickeln können. Der Fachkräftemangel setzt Organisationen nochmal zusätzlich unter Zugzwang. Ihre Vergütungsattraktivität ist nicht nur von zentraler Bedeutung im Recruiting, sondern auch bei der Mitarbeiterbindung.
Welche Bedeutung hat New Pay für Ihre Beratung?
Der Begriff New Pay ist etwas fluide und nicht klar definiert. Wir verstehen ihn als Sammelbegriff für Gestaltungsprinzipien moderner Vergütungssysteme. Regelmäßig werden hier unter anderem genannt: Transparenz, Partizipation, Fairness, Flexibilität, permanente Veränderungsfähigkeit. Wenn wir New Pay also als Zusammenfassung von Gestaltungsleitlinien verstehen, die selbstverständlich unternehmensspezifisch ausformuliert werden müssen, können wir sagen: Vieles davon existiert schon länger und ist in der Beratungspraxis längst selbstverständlich. Als Schlagwort lenkt New Pay im Kontext von New Work die Aufmerksamkeit aber auf die Notwendigkeit, auch Vergütungssysteme immer wieder neu und modern zu denken und an die Bedürfnisse von Organisationen und der sich darin engagierenden Menschen anzupassen. Das passt gut zu unserem Selbstverständnis als Berater und hilft uns insofern unsere Überzeugungen weiter nach vorn zu tragen.
Welche traditionellen Vergütungslösungen bewerten Unternehmen neu?
Wir bemerken eine stärkere Orientierung hin zu Partizipation und Transparenz sowie das ausgeprägtere Arbeiten mit kulturellen Grundhaltungen. Statt nur in einzelnen Gradings und Bonuszahlungen zu denken, rückt eine stimmige Gesamtlösung in den Vordergrund, die einfach und verständlich sein sollte. Derzeit suchen Unternehmen Antworten auf Fragen wie beispielsweise „Brauchen wir mehr Individualität in der Entlohnung? Über welche Vergütungsinstrumente kann das sinnvoll abgebildet werden? Was macht bei uns eine gute Performance aus? Welche Karriere- und Entwicklungsoptionen wollen wir anbieten, und welche Rolle spielt Vergütung dabei?“. Vergütung wird in modernen Systemen nicht mehr als einzelnes Puzzlestück betrachtet, sondern als ein Teil des gesamten Bildes.
Wie definieren Sie das gesamte Bild?
Wichtig ist, dass einzelne Elemente im Sinne einer konsistenten Vergütungsstrategie, einer sauberen Jobarchitektur, daraus abgeleiteten klaren Erwartungen an Performance und Karriere sowie den passenden Vergütungselementen sinnvoll ineinandergreifen. Diese Facetten integriert zu denken und über die Fachbereichsgrenzen der Comp-&-Ben-Rolle mit einem gesamthaften Blick auf HR und die Organisation zu gestalten, das sind zentrale Anforderungen von New Pay. Zu spitze Fachkonzepte aus dem Compensation-Elfenbeinturm greifen oft zu kurz, wenn es um die Beantwortung der aktuellen HR-Herausforderungen in Unternehmen geht.
Alles redet über Vergütung, aber fehlt an dieser Stelle nicht auch ein „New Performance Management“?
Im Prinzip ja, denn Performance-Modelle wurden in der Vergangenheit immer sehr reduziert diskutiert. Das Mantra hieß: Performance Management ist gleich Bonus. Es wurde und wird zu viel über Boni und Co gesprochen oder die variable Auszahlung als zentraler Leistungsanreiz in den Vordergrund gestellt. Dabei kommt die Frage zu kurz: Was bedeutet eigentlich Leistung in der Organisation? Wie wird Leistung definiert, beurteilt und gemessen – und von wem und wie oft? Welche Konsequenzen hat eine besonders gute oder verbesserungswürdige Leistung? Das Prinzip ‚Ziele sind gleich Leistung‘, und diese wird mit der Bonusausschüttung bemessen, ist überholt. Stattdessen sollten Unternehmen die unterschiedlichen Faktoren von Leistung benennen und einen eindeutigen Rahmen schaffen, wie sich gute Leistung im Grundgehalt, der Karriereentwicklung und zur Organisation passenden variablen Elementen widerspiegelt.
Welche Konzepte von Performance Management sehen Sie in Unternehmen?
In der Vergangenheit waren die Lösungen oft sehr stark auf detaillierte Grading-Strukturen und kleinteilige Stellenlandschaften ausgerichtet. Dies hat zu Diskussionen an den falschen Stellen geführt. Anstatt transparent über Performance zu sprechen und klare Anforderungen an eine erweiterte Verantwortung im Sinne eines Karriereschritts zu knüpfen, drehte sich die Debatte oft um die Höherbewertung einzelner Stellen. Gleichzeitig zeigen sich in den Unternehmen häufig undurchsichtige Prozesse, unklare Leistungserwartungen und durch persönliches Ermessen einzelner Führungskräfte geprägte Entscheidungen. Mit übergreifend gerechten und nachvollziehbaren Lösungen hat das ehrlicherweise weniger zu tun. Wir beobachten in unseren Projekten, dass in den vergangenen Jahren der Fokus stärker auf Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Systeme sowie einer möglichst einheitlichen Handhabung liegt, also auf Verfahrensgerechtigkeit des Performance Managements. Das heißt, Unternehmen wollen die Fragen zu Leistungserwartungen, -messung und -konsequenzen konsistent und transparent beantworten können.
Was zeichnet Performance-Modelle aus, die Lohngerechtigkeit unterstützen?
Moderne Performance Management-Systeme umfassen aus unserer Sicht schlankere Jobarchitekturen mit generischeren Rollen, weniger Level und klare Karriereperspektiven. Grundlage einer gesamthaften Leistungseinschätzung sind regelmäßige Performance-Feedbacks unter Einbeziehung unterschiedlicher Inputfaktoren und Feedbackquellen. Am Ende sollten Arbeitgeber klar benennen können, was eine gute Leistung im Job ist, welche Konsequenzen das auf die Vergütung hat und warum Mitarbeitende befördert werden. Nach der Kollektivierungswelle der letzten Jahre sehen wir im Zuge steigender Personalkosten und angespannter Budgets bei einigen Unternehmen den Trend zurück zur stärkeren individuellen Differenzierung von Leistung, jedoch nicht nur im Bonus. Eine größere Unterscheidung bei der Gehaltsentwicklung und eine deutliche Professionalisierung bei Beförderungsentscheidungen sind wichtige Instrumente, um die Leistung von Einzelnen klar und nachvollziehbar zu belohnen. Letzten Endes bilden diese Strukturen, Systeme und Prozesse jedoch lediglich den Rahmen für eine gute Führungs- und Feedbackarbeit, die eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Performance Management und ein gerechtes Vergütungssystem ist. Aber auch hier gilt: Das Modell muss zum Reifegrad der Organisation und der darin agierenden Personen passen. One size fits all kann nicht funktionieren. Unsere Aufgabe als Berater ist es, die richtige Lösung mit einem Unternehmen zu finden und diese erfolgreich einzuführen.
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.